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Alles, was wir über das All (nicht) wissen

Ein Gespräch mit Ersilia Vaudo

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Published: 17 Jan 2023
Von der European Space Agency an die Mailänder Triennale. Ersilia Vaudo, Astrophysikerin und Chief Diversity Officer der ESA, leitet dieses Jahr zusammen mit dem Architekten und Pritzker Preis-Gewinner Francis Kéré die 23. internationale Ausstellung in der Mailänder Triennale, . Die Ausstellung Unknown Unknowns „lädt uns ein, an einer tiefgreifenden Erfahrung teilzuhaben, die unsere Vorstellung von der Welt vom Kopf auf die Füße stellt, so dass wir das Unbekannte nicht mehr als Gegensatz, sondern als Dimension wahrnehmen, die wir bewusst, und dennoch auch leichten Herzens bewohnen“, so beschreibt es Vaudo selbst.


Wir kennen nur einen kleinen Teil des unermesslichen Alls. Weshalb hat der Mensch Ihrer Meinung nach diesen Wunsch, das Unbekannte, das Entlegene, Ungewisse und scheinbar Unerreichbare zu erforschen?

Ich glaube, dass die Frage nach unserem Platz im Universum und was sich im ewigen All verbirgt, uns seit je her antreibt, seitdem der Mensch die Augen auf den bestirnten Himmel hebt und einen Augenblick der Unendlichkeit verspürt. Schon der Ursprung des Wortes desiderio (Wunsch), de sidera esse „weitab von den Sternen“, bringt in einem gewissen Sinne diese Spannung, diese Sehnsucht zum Ausdruck, das zu erreichen, was größer als wir selbst sind, eine entlegene und rätselhafte Welt. Unsere Fühlung zum Himmel hat schon immer unsere Fantasie beflügelt und Fragen nach dem Sinn unserer Existenz aufgeworfen.


Eines der Elemente, die in der Ausstellung besonders zutage treten, ist der ausgeprägte interdisziplinäre Charakter bei der Erforschung des Unbekannten. Wie war es, als Astrophysikerin und Special Advisor on Strategic Evolution der ESA, mit einem Architekten wie Francis Kéré, dem Personal der Triennale oder mit Philosophen wie Emanuele Coccia zusammenzuarbeiten?

Das Thema der Ausstellung, das Unbekannte, ist auf einem Symposium am 4. März 2020 unter Leitung des Präsidenten der Triennale. Stefano Boeri, entstanden. Ich hatte damals gesagt, dass wir das Wenige, was wir über das Universum wissen (also etwa 5%), vom Licht erfahren haben. Aber in den Rätseln der Gravitation, insbesondere der Quantengravitation, verbergen sich die übrigen 95%. Aus den Beiträgen anderer, am Symposium teilnehmender Fachleute, die zum Beispiel zu Ozeanen oder zu Fragen des Bewusstseins forschten, wurde deutlich, dass wir allenfalls einen winzigen Teil des Ganzen kennen. Das Thema des Unbekannten erschien uns als gemeinsamer Nenner mit großem Kreativpotenzial und auch als sehr aktuelles Thema. Damals befanden wir uns am Anfang des Lockdowns. Bis dahin waren wir davon ausgegangen, zumindest die nahe Zukunft vorherzusagen, und dann platzt unerwartet dieses Virus zur Tür herein und stellt alles auf den Kopf. Das Unbekannte, Ungewisse, erschien uns angesichts dessen als ideales Thema, um auf interdisziplinäre Weise dargestellt zu werden und neue Perspektiven hervorzubringen. Indem wir Wissenschaft, Architektur, Design und Kunst zusammendachten, haben wir einem Unbekannten Form verliehen, das kein Gegensatz, sondern eine vertraute, bewohnbare Dimension darstellt, eine Erzählung, die aus poetischen oder auch verblüffenden Elementen besteht.


Bewegungen wie Fridays for future nutzen häufig den Slogan: “There is no Planet B”: Es gibt keine zweite Erde. Wie setzt sich die Ausstellung mit dem Thema der Umwelt auseinander?

Im Laufe der Ausstellung lässt man die anthropozentrische Sichtweise nach und nach zugunsten einer Realität hinter sich, die ohne uns auskommt und uns doch enthält, um schließlich wieder zu uns, zu unserem Planeten zurückzukehren. In der abschließenden, von der ESA realisierten Installation nähern wir uns der Erde von weit her, wie Astronauten oder Außerirdische, die dabei sind, einen wunderbaren Planeten zu entdecken. In dieser Installation werden wissenschaftliche Daten auf einer großen Halbkugel projiziert - Gletscherschmelze, Klimaerwärmung, Umweltverschmutzung, Windströmungen und vieles mehr - so dass diese, beinahe hypnotischen Bilder, uns Gelegenheit bieten, die Schönheit und Fragilität unseres Planeten bewusst zu sehen. In Bezug auf den Slogan „There is no Planet B” müssen wir aber klarmachen, dass die Erforschung etwa des Planeten Mars nicht in der Absicht erfolgt, sich auf einen Planeten B vorzubereiten, sondern im Gegenteil vor allem die Erde zu schützen. Auf dem Mars bestanden vor Millionen von Jahren ähnliche Bedingungen wie wir sie jetzt auf der Erde haben. Nur ist das Gleichgewicht zwischen Flüssigem und Festen in seiner Atmosphäre irgendwann verrutscht. Die Wissenschaft, die den Mars erforscht, sucht daher auch nach den Ursachen für dieses plötzliche Ungleichgewicht, um uns Ähnliches zu ersparen. Der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Das von der Europäischen Kommission entwickelte Copernicus-System ist das weltweit wichtigste Erdbeobachtungsprogramm. Es liefert einen unschätzbaren Beitrag zum Verständnis von Phänomenen, die sich auf unserem Planeten abspielen, auch um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Im All geht es nicht darum, das zu erforschen, was da draußen ist, sondern die Erde im Blick zu haben, „das einzige Haus, das wir jemals hatten“, um es mit Sagan zu sagen.
Alles, was wir über das All (nicht) wissen
Gaia’s stellar motion for the next 400 thousand years. Credit: ESA Gaia DPAC
Immer mehr Multimilliardäre der Tech-Welt, von Jeff Bezos bis hin zu Elon Musk, investieren in die Erforschung des Alls und träumen von Kolonien auf dem Mars. In der Ausstellung dreht sich neben seiner Erforschung vieles um die Bewohnbarkeit des Alls. Welche Rolle spielen 3D-Drucker dabei?

3D-Drucker haben uns bei der Ausstellung wertvolle Dienste erwiesen. Die Idee zu ihrer Nutzung stammt vom Architekten Joseph Grima, der auch das Setting realisiert hat, welches die Krümmung des Ausstellungsrundgangs nachvollzieht: eine Art imaginäre, halbkreisförmige Bahn als Schwerpunkt des Palazzo delle Arti. Um dieser ecken- und kantenlosen Rundung zu folgen, wurde das Setting gänzlich mit 3D-Druckern und ausschließlich organischen Materialien hergestellt, vor allem Reispapier. Im thematischen Teil der Ausstellung gibt es einen Abschnitt zur Projektierung. Ich hatte die Architekten von SOM gebeten, einen Dekalog auszuarbeiten, den ein zukünftiger außerirdischer Architekturstudent kennen muss. Was muss er etwa wissen, um auf dem Mond bauen zu können? Die ersten fünf Lektionen betreffen den Umgang mit der Umwelt, darunter auch den mit der Schwerkraft. Im zweiten Teil geht es darum, wie es sich in einer so andersartigen Umwelt eigentlich lebt und die Bedeutung, die der Gemeinschaft und dem Ökosystem zukommt. Beim Thema Bauen auf dem Mond sind wir wieder bei den 3D-Druckern angelangt. Man kann natürlich nicht einen Backstein nach dem anderen auf zum Mond befördern, sondern muss das dort befindliche Material nutzen, vor allem Regolith. Der 3D-Drucker konstruiert und optimiert die Nutzung des Materials in Bezug auf den Bauzweck hinsichtlich der Umweltverträglichkeit und der Vermeidung von Abfall.


Ist Licht der eigentliche Protagonist im All? Viele Fotos aus dem Weltraum, die viral gehen – von den Sonnenflecken bis zum wunderschönen Sonnenaufgang, den Thomas Pesquet von der ISS aus aufnahm – scheinen dies zu bestätigen.

Das Licht ist eine Zeitmaschine. Wenn wir den Sternenhimmel betrachten, schauen wir auf eine Vielzahl von Zeiten zurück. Wenn wir uns auf einen Aperitif mit einem Freund beim Sonnenuntergang treffen, teilen wir ein Stück Gegenwart, aber jener Sonnenuntergang ist eigentlich schon vergangen. Da das Licht reist, leben wir in einer Überlagerung vieler Zeitschichten. Auch der Ursprung des Lichts ist interessant. Das Licht entstand lange nach dem All und der Zeit: erst 380.000 Jahre nach dem Big Bang. Das erste Licht, die ersten Photonen, können wir noch sehen. Ihre Bilder liefern uns die Planck-Satelliten: Das sind die Fotos des ersten Lichts. Und natürlich wollen wir den Wow-Effekt der Astronautenfotos nicht unterschlagen: Morgenröten, Sonnenuntergänge, Nordpolarlichter, die sich bewegende Erde. Das Licht weckt eben auch große Emotionen.