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Comics und Wissensverbreitung – Zerocalcare erzählt das Synchrotronlicht

Interview mit Roberto Natalini, stellvertretender Leiter von Comics&Science

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Published: 10 Mai 2019
Es gibt Licht, das beleuchtet, was das menschliche Auge nicht zu sehen vermag. Das Licht, um das es hier gehen soll, stammt nicht von einer Lampe oder einem LED, sondern von der elektromagnetischen Strahlung beschleunigter Elektronen und wird durch „Synchrotrone Lichtquellen“, hochtechnologischen Instrumenten zur Untersuchung der Mikro- und Nanostruktur der Materie, gewissermaßen ausgegeben. Das italienische Forschungsinstitut CNR hat den Zeichner Zerocalcare gebeten, diese beiden Superlicht-Lichtquellen im italienischen Triest in einem Comic namens Educazione Subatomica zu erzählen: das Synchrotron Elettra und der Freie Elektronen-Laser FERMI.

Die wissenschaftliche Methode basiert auf mehrfach wiederholten Experimenten, so dass es nicht verwundert, dass auch Comics über Wissenschaft kein isoliertes Experiment darstellen: Seit 2013 gibt das CNR mit der Reihe Comics&Science eine ebenso wirkungsvolle wie vergnügliche Form der populären Wissensvermittlung heraus. In Educazione Subatomica zeigt sich Zerocalcare seiner Rolle bewusst: Er erzählt nicht nur von seinem full immersion-Tag im Synchrotron im Beisein einiger Wissenschaftler des Instituts für Materiestruktur des CNR, sondern schildert auch den (verzweifelten) Versuch, seinem Nachhilfeschüler Blanka die Liebe zur Entdeckung und zum Wissen zu vermitteln.
Comics und Wissensverbreitung – Zerocalcare erzählt das Synchrotronlicht
Abbildungen aus Educazione Subatomica (courtesy of Cnr Edizioni)
Es gibt Licht, das beleuchtet, was das menschliche Auge nicht zu sehen vermag.
Im Grunde ist dies auch die Quintessenz der Tätigkeit von Comics&Science: Bei den Lesern Interesse für wissenschaftliche Themen zu wecken und Lesungen mit bekannten Autoren der Wissenschaftsvermittlung wie Leo Ortolani, Silver, Tuono Pettinato und Licia Troisi zu organisieren. Für dieses neue und verheißungsvolle Verlagsprojekt haben wir mit Roberto Natalini gesprochen, Mathematiker und Leiter des Instituts für Angewandte Mathematik des CNR, der gemeinsam mit Andrea Plazzi die Reihe Comics&Science gegründet hat und leitet.

Wie kam es zur Idee von Comics&Science?
Seit vielen Jahren interessiere ich mich schon für Wissensvermittlung. Ich versuche den Menschen,auch auf Grundlage ihrer eigenen Kenntnisse, die Vorstellung zu vermitteln, das Wissenschaft nützlich ist und auch ihnen selbst zugutekommt. Schwierig ist es dabei, die richtige Sprache zu finden, denn die Wissenschaften lassen sich nur schwer in einfache Worte fassen: Es gibt einige wenige hervorragende Bücher, denen dies gelungen ist, aber sie werden von wenigen gelesen. Filme oder ein Fernsehformat zu diesem Thema zu machen, ist fast noch schwieriger. Gemeinsam mit Andrea Plazzi, einem Mathematiker, aber auch großen Comic-Experten, haben wir in diesem Medium ein Vehikel zur Beförderung dieses Wissens gefunden.

Wie schwer ist es, ein Gleichgewicht zwischen Genauigkeit des wissenschaftlichen Inhalts und der Fähigkeit der Geschichten zu finden, ein breites Publikum zu erreichen?
Der perfekte Überbringer unserer Botschaft muss in der Lage sein, eine starke künstlerisch- narrative Situation zu kreieren, in die der Leser hineingezogen und auf gewisse Weise „genarrt“ wird: Neben einem schönen und kurzweiligen Comic eines bekannten Autors kommt der Leser so auch in den Genuss neuer Inhalte, an denen er vielleicht anfangs gar nicht interessiert war. Wir betreiben keine Popularisierung im klassischen Sinn, sondern wissenschaftliche Unterhaltung: Wir möchten den Leser ansprechen und neugierig machen, der dann die Themen anhand unserer Anregungen vertiefen kann.

Müssen Sie die Comics nicht umfassend redigieren, um die Korrektheit der wissenschaftlichen Informationen zu garantieren?
Es erfolgt eine Qualitätsprüfung: Wir überwachen den gesamten Prozess, lassen den Autoren aber genügend Freiraum bei ihrer schöpferischen Arbeit. Wenn wir das Drehbuch oder die ersten Entwürfe erhalten, müssen wir häufig wissenschaftliche Details abklären oder die zuständigen Fachleute um Rat bitten. Danach sind aber normalerweise keine größeren Eingriffe mehr nötig, da der Autor bereits gut eingewiesen wurde.
Comics und Wissensverbreitung – Zerocalcare erzählt das Synchrotronlicht
Abbildung aus Educazione Subatomica (courtesy of Cnr Edizioni)
Derzeit stellt das Misstrauen gegenüber den Wissenschaften ein großes gesellschaftliches Problem dar. Kann die wissenschaftliche Unterhaltung Teil der Lösung sein?
Die Wissenschaften haben immer schon Misstrauen erregt. Ich denke, wir sind heute insgesamt gebildeter als unsere Vorgängergenerationen, aber die Ungebildeten können sich mehr Gehör als früher verschaffen. Das liegt vielleicht auch an den Socials. Ich hoffe jedenfalls, dass unser Ansatz Früchte tragen wird. Die neueste Ausgabe von Comics&Science mit einer Geschichte von Silver mit Lupo Alberto handelt nicht zufällig vom Thema wissenschaftliche Fake News. Angesichts der vielen Bewegungen wie No Vax und den Anhängern der Flachen Erde schadet ein wenig Humor nie: Anstatt sie zu ernst zu nehmen, sollte man sie lieber ein wenig auf den Arm nehmen.

Wie gestaltete sich die Arbeit mit dem Zeichner Zerocalcare?
Ich habe mit ihm viel Zeit verbracht, wir haben zusammen drei Zugreisen innerhalb weniger Tage gemacht, und ich habe in ihm einen unglaublichen Mensch kennengelernt. Ihm gelingt es meiner Meinung nach sehr gut zu kaschieren, dass er ein Intellektueller ist, eine sehr gebildete Person. Ich fand in ihm eine Kultiviertheit, die er öffentlich nicht zur Schau trägt, sondern diese Maske des Römers trägt, der nur den Dialekt der römischen Peripherie von Rebibbia spricht. Im Gegensatz dazu aber legt er eine beeindruckende Tiefenschärfe bei der Betrachtung des alltäglichen Lebens an den Tag. Trotz des riesigen Erfolgs seiner Bücher versucht er, integer und den Werten verbunden zu bleiben, mit denen seine Karriere begonnen hat.
Zerocalcare. Fotos von ActuaLitté unter Verwendung der cc-by-sa-2.0-Lizenz.
Zerocalcare hat eine „Formel“, einen Stil gefunden, mit dem er jedes Thema, so komplex es auch sein mag, mit zeichnerischen Mitteln erzählen kann – vom kurdischen Widerstand in Kobane bis zum Synchrotronlicht. Motiviert ihn diese Vielzahl an Themen oder gibt es eine Grenze, die er nicht zu überschreiten wagt? Haben Sie darüber gesprochen?
Er verfolgt im Grunde denselben Ansatz wie die US-amerikanische Bewegung des gonzo journalism. Die großen amerikanischen Journalisten, David Foster Wallace vor allem, aber auch viele andere, haben Reportagen geschrieben, deren Erzähler ihren subjektiven Filter nicht ausblenden, sondern als Stilmittel einsetzen. Ich denke etwa an Truman Capote oder Emmanuel Carrère als zeitgenössisches Beispiel. Den Erzähler zum Mittelpunkt einer (wahren) Geschichte zu machen, ist höchst wirkungsvoll, ermöglicht dieses Stilmittel dem Leser doch, eine authentische, ausdrucksstarke Perspektive einzunehmen und einen identitätsstiftenden Bezugspunkt zu finden. In Educazione Subatomica zum Beispiel schält sich irgendwann heraus, dass Zerocalcare im Rahmen dieser hochwissenschaftlichen Erfahrung einen Widerspruch ansprechen will, der ihm auf der Seele liegt: Auf der seinen Seite müsste die Gesellschaft die Menschen, die diese schwierige Forschungsarbeit leisten, stärker unterstützen, auf der anderen Seite ist er selbst von Personen umgeben, die in prekären Lebensbedingungen zurechtkommen müssen, und ebenfalls nicht so geschätzt werden, wie sie sollten. Diese Themen behandelt er in seiner typischen „immersiven“ Erzählmanier: Sein Alter Ego lauscht den sehr interessanten Gesprächen der Wissenschaftler, wird aber leider abgelenkt, als er die slowenisch-kroatische Spezialität Lubjanska kostet, „den Godzilla des Cordon Bleu“, die sich, wie man in der Abbildung sieht, in den Mittelpunkt schiebt, während die Bemerkungen der Forscher zu ihren finanziellen und personalpolitischen Problemen buchstäblich an den Rand gedrängt werden. So gelingt es Zerocalcare, ein ernstes Thema wie die prekäre Situation der Forschung in Italien gleichzeitig anzusprechen und auszublenden und den Leser damit zu fesseln.