Wie man Beleuchtungskonzepte für Kunstorte den Bedürfnissen einer neuen Besuchergeneration anpasst
Zu Beginn des Jahres 2018 war die Beleuchtung, die den Kapitelsaal der Scuola Grande di San Rocco in Venedig erhellte, dieselbe wie zu Beginn des Jahres 1938. Auch wenn Kontinuität etwas Schätzenswertes ist, musste eine Institution mit einem mehrere Jahrhunderte alten Kunstschatz wie den Deckengemälden des Jacopo Tintoretto etwas unternehmen.
Die vor über 80 Jahren von Mariano Fortuny entworfene Lichtanlage stellte damals eine begeisternde Neuerung, ja fast eine Revolution dar, in einer Zeit, in der Elektrizität noch nicht flächendeckend verbreitet war. Aber natürlich genügt die Anlage heutigen Standards nicht mehr: Sie verbreitete im gesamten Raum ein mittelstarkes Licht und ließ bei der Ausleuchtung der Decke den unteren Teil der Gemälde, die entlang der Saalwände angeordnet sind, im Dunkeln. Ein Kompromiss, der den Besuchern und allen, denen die Wertschätzung des künstlerischen und kulturellen Erbes am Herzen liegt, heute nicht mehr genügt.
In diesem Bewusstsein haben sich die leitenden Organe der Schule an iGuzzini und den Lighting Designer Alberto Pasetti gewandt, um ein neues Beleuchtungskonzept des Kapitelsaals zum 500. Geburtstag Tintorettos zu realisieren.
Um die heutige Bedeutung des Lichts bei der Rezeption von Kunst- und Kulturwerken zu messen, tut man gut daran, die Gewohnheiten der Generation zwischen 25 und 40 Jahren zu studieren. Die Millennials sind es gewohnt, zu reisen und künstlerische Interessen zu pflegen, aber im Vergleich zu ihren Eltern haben sie oft eine geringere Kaufkraft: Bei der Planung ihrer kulturellen Aktivitäten versuchen sie daher, Zeit und Kosten zu optimieren und sie nur in Erlebnisse zu investieren, von denen sie sicher profitieren.
Im Internet und in Sozialen Netzwerken kann sich diese Generation eigenständig informieren und bevorzugt es, Orte ausgehend von Meinungen anderer Nutzer zu wählen, anstatt ein Reisebüro aufzusuchen oder Rezensionen von Kunstausstellungen in Tageszeitungen zu studieren. Wenn sie selbst einen Ort besichtigen, dann teilen sie diese Erfahrung im Internet und den Socials und tragen zum Erfolg oder Misserfolg von Museen, Ausstellungen und Ausstellungsflächen aller Art bei. Bis zum Jahr 2018 sorgte jeder Tourist, der den allein von den Leuchten von Mariano Fortuny beleuchteten Kapitelsaal betrat und das Foto eines in Halbdunkel getauchten Gemäldes von Tintoretto auf Instagram veröffentlichte (oder eben davon Abstand nahm) für negative Publicity für die Scuola, ob es ihm bewusst war oder nicht.
Daher sichert die richtige Beleuchtung der Scuola Grande di San Rocco wie jedem anderen Ausstellungsort einen Wettbewerbsvorteil zu, weil sie die Kunstwerke für einen Teil des Publikums interessanter macht, das sich auf eine virtuose und vollständig eigenständige Kommunikation versteht. Die Kehrseite davon ist natürlich das Risiko negativer Bewertungen, die sich unkontrolliert und schnell verbreiten. Aber die einzige Möglichkeit, diesem Effekt entgegenzutreten, liegt eben in Initiativen, die Perzeption des Kunsterbes auszuweiten.
Die Innovation eines Beleuchtungskonzepts erfüllt einen künstlerischen und einen sozialen Wert. Künstlerisch deshalb, weil die Verbesserung der Sichtbarkeit der Werke gleichbedeutend mit ihrer „perzeptiven Restaurierung“ ist, die die Außenwirkung und Lesbarkeit der Werke erneuert. Sozial deshalb, weil sie Menschen an Kunstorte einlädt, die sich sonst vielleicht damit begnügt hätten, die Werke dank Projekten wie Google Arts & Culture in hoher Auflösung zu Hause online anzuschauen. Dass es wichtig ist, Ausstellungsorte persönlich aufzusuchen, muss besonders eindrücklich für die Scuola Grande angemerkt werden, die keine temporären Ausstellungen zeigt, wie dies Museen tun, sondern eine besondere Umgebung darstellt, für die die Werke von Tintoretto geschaffen wurden und wo sie konserviert blieben.
Auch diese Unveränderlichkeit hat ihre Kehrseite, da sie mit der Vorstellung von Statik assoziiert werden kann. So ist die Erneuerung der Lichtanlage durch iGuzzini auch als dynamisierendes Element zu verstehen, das zuvor undenkbar erschien. Aber der Reihe nach.
Die Innovation eines Beleuchtungskonzepts erfüllt einen künstlerischen und einen sozialen Wert.
Im Rahmen der rund einjährigen Arbeiten wurden ca. 260 Strahler installiert, die zum Teil die Struktur der Leuchten von Mariano Fortuny nutzen, welche inzwischen verdientermaßen zur historischen Ausstattung des Saales gehören. Jede der großen Stehleuchten beherbergt sieben oder acht Strahler, die so ausgerichtet und ingestellt sind, dass sie die Deckengemälde präzise ausleuchten. Entlang der Saaleinfassung wurde eine nahezu unsichtbare Schiene eingebaut, die die Unterseite der Gemälde an den Wänden sowie die hölzernen Skulpturen darunter illuminiert. Viele, auch die Mitglieder der Schule selbst, die sie gut kennen und seit Jahrzehnten frequentieren, haben sich vom iGuzzini-Lichtkonzept erstaunt gezeigt und den Eindruck gehabt, den Kapitelsaal zum ersten Mal in seinem wahren Glanz zu sehen.
Die Beleuchtung des Kapitelsaals ist vielschichtig und ermöglicht die Programmierung unterschiedlicher Lichtszenarien für besondere Anlässe, um in einer angemessenen Atmosphäre den Blick der Besucher auf das eine oder andere Werk zu lenken. Die langsame Einschaltung der Strahler weckt die Spannung bei den Besuchern: Diese Art Dynamismus hat iGuzzini in die Scuola eingeführt, und die Gäste bei der Eröffnungsshow konnten diese Funktion bereits in stimmungsvoller Begleitung eines Chores ausprobieren. Ein steuerbares und gleichzeitig auch dynamischeres Licht hat die Grunderfahrung des Besuchs für den Touristen im Kapitelsaal verbessert und die Erlebniswelt, die die Scuola dem Publikum bei ausgewählten Anlässen bieten kann, wie etwa bei Trauungen, Führungen für Schulen, Konzerten und Konferenzen, erheblich bereichert. Dank der Diversifizierung des Beleuchtungsprofils konnten neue Besuchergruppen hinzugewonnen werden, ohne die „Stammgäste“ zu verlieren.
Wir danken Demetrio Sonaglioni, Vikar der Scuola Grande di San Rocco.