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Empathie und Kreativität für eine neue Arbeitskultur

Interview mit Mauro Porcini

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Published: 17 Mrz 2023
Was wäre Innovation ohne Aufgeschlossenheit? Was wäre Genie ohne Empathie? Für eine erschöpfende und motivierende Antwort muss man nur Mauro Porcini fragen, Jahrgang 1975, der seit 2012 Vicepresident und erster Chief Design Officer von PepsiCo ist. Zuvor hat er für Philips Design gearbeitet, seine eigene Agentur Wisemad gegründet, war Chief Design Officer von 3M, zu der unter anderem Scotch und Post-it gehören. Porcini hat in seiner Laufbahn alle Unternehmen, in denen er tätig war, einen neuen Designansatz verpasst, indem er kreative Leitlinien in sämtlichen Produktions- und Kommunikationsphasen implementiert hat. Der italienische Verlag Il Saggiatore hat soeben sein Buch L’età dell’eccellenza herausgegeben, das Zeugnis und Manifest zugleich ist. In diesem Buch kommt ein starker und notwendiger Optimismus zum Ausdruck, eine Einstellung, die die raschen globalen Veränderungen als große Chancen ansieht, Neuerungen und eine menschenzentriertere Arbeitskultur zu implementieren.

Mit der Pandemie haben fast alle von uns eine neue Arbeitsweise von zu Hause mit flexibleren Uhrzeiten erlebt. Aber hat Covid-19 nicht bloß eines ohnehin schon bestehenden Trends beschleunigt? Gehört dem Homeoffice die Zukunft oder wird es mit dem Ende der Covid-19-Krise wieder verschwinden?

Nein, verschwinden wird es nicht, denn das Homeoffice ist aus verschiedenen Gründen die Zukunft der Arbeit. In den letzten hundert Jahren hat die Produktivität von Unternehmen und anderer Geschäftsformen dank der neuen Technologien exponentiell zugenommen. Diese Zunahme hat sich aber nicht in einem neuen Gleichgewicht zwischen unserem Privat. und Arbeitsleben geäußert. Bereits vor Covid-19 war dies allen Ebenen eines Unternehmens klar, vom CEO über die Aktionäre bis hin zu den Angestellten, es herrschte ein allgemeines, verbreitetes, aber verhohlenes Bewusstsein, das nicht zur Sprache gebracht wurde, weil man sich dafür schämte und etwaige Folgen fürchtete. Die großen Weltkonzerne, deren Personalabteilungen üblicherweise am ehrgeizigsten dabei sind, neue Arbeitskulturen zu entwickeln, hatten bereits ein verbreitetes soziales Bedürfnis in diesem Sinne registriert. Ein Unternehmen wie PepsiCo beispielsweise hatte bereits früh viele Maßnahmen zur Arbeitsflexibilität, zur kurzen Arbeitswoche eingeführt. Wir haben seit 15 Jahren den gesamten Sommer und Dezember über arbeitsfreie Freitage, wenn die Angestellten eine Stunde mehr unter der Woche arbeiten. Alle Unternehmen waren also damals bereit, sich in diese Richtung zu entwickeln, aber es gab noch keinen gemeinsamen Nenner. Den hat die Pandemie gebracht, und die Belegschaften vieler Unternehmen haben sich gesagt: „Es lag bereits in der Luft, jetzt wollen wir Homeworking, das Leben ist kurz und fragil, wenn wir uns etwas von diesem Leben zurücknehmen und in unsere individuelle Entfaltung investieren können, dann werden wir dies tun, die Gesellschaft schuldet es uns.“ Es entsprach einer natürlichen Entwicklung, genau wie sich die Arbeitsstundenwoche gegenüber dem vorigen Jahrhundert (willkürlich) verkürzt hatte. Wenn wir den Menschen in diesem dynamischen Gleichgewicht mehr Zeit für sich schenken können und gleichzeitig als Unternehmen produktiver arbeiten, dann ist das ein großer gesellschaftlicher Fortschritt.
Empathie und Kreativität für eine neue Arbeitskultur
Obschon viele Menschen gerne von zu Hause arbeiten, können die Beziehungen innerhalb von Unternehmen gleichzeitig ebenfalls fruchtbar sein, um den Funken zu neuen Ideen und Projekten zu liefern. Was sind die „Einhörner“, von denen Sie im Buch sprechen?

Ich bin ein großer Fan des Hybridmodells. Nur von zu Hause arbeiten ist für die meisten Berufe nicht wünschenswert. An meinem Arbeitsplatz vernetzt man sich, arbeitet zusammen, feiert Erfolge und inspiriert sich wechselseitig, macht Mentorships und auch Problem Solving gemeinsam. Häufig finden Meetings zu speziellen Themen statt, und in der Kaffeepause fünf Minuten vor oder nachher werden die großen Probleme gelöst und von Themen gesprochen, die nicht zur offiziellen Agenda gehören. Diese Dynamiken lassen sich in der digitalen Welt nur schwer realisieren. Die Gesellschaft braucht den Wechsel hin zum hybriden Modell ungeachtet der Interessen der Unternehmen. Aber auch die Unternehmen benötigen Menschen, die die Möglichkeit haben, sich wechselseitig zu vernetzen, zu inspirieren und Erfolge zu feiern.m dann nach Hause zu kommen und in ihren Raum für Hobbys, die Familie, die Pflege von Körper und Geist einzutauchen zu können. Wir werden Menschen haben, die sich dadurch energetischer, ausgefüllter, glücklicher fühlen. Dieses Wohlbefinden werden sie in die Arbeit, ins Unternehmen einbringen. Menschen, die zu wenig arbeiten, nicht an den Zielen des Unternehmens interessiert sindgibt es auch, wenn die Menschen inhouse tätig sind. Sie sind nur weniger sichtbar. Ein hybrides Modell impliziert, dass Unternehmen ein strategischeres und formaleres Verständnis dessen entwickeln müssen, was die „Einhörner“ sind, von denen ich im Buch spreche. Was also sind die grundlegenden Eigenschaften, die ich in meinen Teams haben will? Im Buch zähle ich 23 davon auf. Wie strategisch agieren wir als Unternehmen bei der Definition dieser Eigenschaften? Es geht um Eigenschaften, die heute in einer globalen und hyperkompetitiven Welt mehr Bedeutung als vor 20 Jahren haben. Eigenschaften wie Aufgeschlossenheit, Freundlichkeit, Güte, Optimismus, Respekt, Liebe zur Diversität sind heute in diesem Typ sozialer Ordnung grundlegender als je zuvor. Man benötigt geradezu Menschen mit diesen Eigenschaften, damit sichergestellt ist, dass sie das Meiste in einem hybriden Arbeitsmodell leisten. Die Frage an große und kleine Unternehmen und an die CEOs lautet: Haben sie ein strategisches Modell, um wirklich zu verstehen, wer ihre Angestellten, ihre Teammitglieder sind und ob sie für die Arbeit unter diesen Rahmenbedingungen die nötigen Eigenschaften mitbringen? Haben sie Parameter wie Respekt, Freundlichkeit, Optimismus, Aufgeschlossenheit auf wissenschaftliche und strategische Weise berücksichtigt?

Sie haben Design und Kreativität auf allen Ebenen eines Unternehmens verankert. Woher stammt dieser Ansatz, der emotionale, humanistische und Manager-Elemente zu vereinen scheint?

Mein Bauchgefühl und mein Herz haben sie mir eingegeben. Zu Anfang war es wirklich etwas sehr Instinktives. Zu Anfang meiner beruflichen Laufbahn habe ich mit einem sehr niedrigen Bewusstseinsgrad experimentiert. Ich hatte das Gefühl, dass ich das tat, was mir gefiel, und von dem ich glaubte, dass es ethisch und moralisch richtig sei, also zwei Variablen, die im Unbewussten gründen. Mit dieser Art Instinkt habe ich meine Rollen in verschiedenen Unternehmen ausgefüllt und hatte das Glück, neue, eigene Teams aufzubauen, mit Ausnahme des ersten Jahrs bei Phillips, um dann mein eigenes Start-Up zu gründen. Später konnte ich fast 21 Jahre lang in meiner Tätigkeit für Weltkonzerne immer auf eigene, von mir gegründete Teams zurückgreifen. Anfangs umgab ich mich mit Personen, die bestimmte Eigenschaften aufwiesen, von denen ich mich angezogen fühlte. In der Rückschau habe ich versucht zu verstehen, welche die Schlüsselvariablen von erfolgreichen Projekten waren, und ich wurde mir bewusst, dass die menschliche Variable den Unterschied machte. An diesem Punkt habe ich mir gesagt: Welche Eigenschaften hatten diese Personen, die wirklich Großes in den Teams bewirkt haben? Und welche Eigenschaften fehlten jenen, die nicht ausreichend performten? Ich habe dabei auch andere Unternehmen und Realitäten in meine Analyse miteinbezogen. Aus einer rein instinktmäßigen Herangehensweise ist so mit der Zeit eine Strategie und eine klare Vision dafür entstanden, wie diese aufzubauen ist.
Empathie und Kreativität für eine neue Arbeitskultur
Hat sich die Auffassung von Leadership in den letzten Jahren bei Unternehmen und Start-Ups gewandelt?

Unbedingt, ja. Es hat sich etwas Grundlegendes gewandelt, und die Unternehmen, die dies verstanden haben, haben einen Pfeil mehr im Köcher. Früher verehrte man die Führungsmethoden mit harter Hand, die Haie, auch Menschen mit einer gewissen rohen Irrationalität im Denken und Lenken. Auf Managementebene wurde damals den CEOs beigebracht, dass der Konflikt – die Menschen gegenseitig auszuspielen, die Teams in Wettbewerb untereinander zu setzen – etwas Heilbringendes sei, dass in einer Art darwinschem Modell Exzellenz erzeugen würde. Die stärkste Idee trug den Sieg davon. Dieser Ansatz ist sehr ineffizient. Denn wenn ich die Menschen gegeneinander ausspiele, machen alle ähnliche und damit redundante Dinge. Dieser Ansatz konnte so lange funktionieren, weil der Wettbewerb sehr kontrolliert ablief; in jeder Branche gab es eine überschaubare Anzahl an Konkurrenten mit klaren Zugangsbeschränkungen und Spielregeln. Man wusste, was die Wettbewerber taten, an was sie arbeiteten und von wo eventuelle Gefahren drohten, es herrschte ein dynamisches Gleichgewicht. Heute, wo die Zugangsbeschränkungen durch das Aufkommen der Globalisierung und der neuen Technologien gefallen sind, kann jeder über Inkubatoren, Investmentfonds, Online-Plattformen zur Mobilisierung von Mitteln Ideen entwickeln und Zugang zu Ressourcen haben. Man kann mit E-Commerce direkt zum Endnutzer vordringen und mit den Social Media kommunizieren. In diesen neuen Rahmenbedingungen lauern Gefahren an allen Ecken und häufig mit unerwarteten Variablen, vielleicht in Gestalt von Playern, die nicht die typischen Beschränkungen eines konsolidierten Unternehmens aufweisen. Dies ist der Fall bei Uber im Beförderungswesen und AirBnb in der Vermietungs- und Reisebuchungsbranche. In diesem Szenario müssen die Leader von heute in der Lage sein, eine hocheffiziente Zusammenarbeit ihrer Teams zu gewährleisten. Sie müssen Wettbewerbsvorteile in allen Dimensionen des Geschäfts besitzen. Während man früher nur in einer Dimension investieren konnte, musst du heute alles machen: das beste Produkt in stilistischer, emotionaler, ästhetischer sowie funktionaler und ergonomischer Hinsicht, die inspirierendste Marke sein, den besten Service bieten, so fesselnde Erlebnisse wie möglich bieten usw. Daneben gibt es weitere Variablen wie Nachhaltigkeit, extreme Personalisierung, Health and Wellness, Technologie. Man muss also fachlich sehr versierte Experten in jeder Dimension besitzen. Und man braucht Leader, die in der Lage sind, diese Art von Talenten zu finden und die richtigen Synergien zu entfalten. Auch ein ganzes Set von Eigenschaften wird benötigt, nicht zuletzt die Aufgeschlossenheit von Belegschaft und Führungspersonal, denn die Menschen müssen mit der Welt zusammen wachsen, die sich ständig weiterentwickelt. Nehmen wir nur das Beispiel der Künstlichen Intelligenz: Man muss verstehen, dass sie die Zukunft des Designs ist. Das bedeutet, dass neben den Skills, die wir bereits besitzen, andere, neue hinzukommen müssen, wie die Fähigkeit, einen Prompt auf bestimmte Art und Weise zu schreiben, die Semantik und Semiotik von Wörtern zu verstehen, die sich mit Bildern kombinieren lassen. Sich gegen die Künstliche Intelligenz zu stemmen, erinnert an den Widerstand des Kaligrafen gegen die digitale Software. Er ist fruchtlos. Das bedeutet, dass wir auf neue technische Fähigkeiten und die Aufgeschlossenheit von Menschen angewiesen sind, die sagen: „Ich will mir dieses Instrument zu eigen machen“ und den Mut aufbringen, es zu tun, die Willensstärke, weiterzumachen und sich neu zu erfinden und den Optimismus zu sagen: „Ich werde es schaffen und werde der/die Beste sein“. Diese Menschen müssen sich miteinander in einem Team vernetzen. Wir brauchen Freundlichkeit und Empathie und eine ganze Reihe weiterer Eigenschaften, die vorher vielleicht geschätzt, aber nicht so notwendig waren wie heute, in einer Welt, in der man 24 Stunden am Stück hypereffizient sein muss. Der Untertitel meines Buchs auf Englisch lautet: the power of people in love with people. Love ist die Liebe zu den Menschen, für die wir arbeiten – deshalb müssen wir sie vor den Profit stellen. Love ist die Liebe zu den Menschen, die uns umgeben – wir müssen also dafür sorgen, dass das Team glücklich ist und alle ein Grundvertrauen verspüren. Love ist schließlich die Liebe zu dem, was man macht. Wenn wir lieben, was wir machen, sehen wir unsere Anstrengungen positiv, ja es ist eigentlich keine Anstrengung mehr: Man geht zwar erschöpft ins Bett, wacht aber am nächsten Tag voller Tatendrang auf.

„Wir sind dabei, in eine Welt einzutreten, in der Innovation alles ist: Entweder wir sind innovativ und stellen den Menschen dabei in den Mittelpunkt oder jemand anderes tut es an unserer Stelle“, schreiben Sie in Ihrem Buch. Meinen Sie, dass es in Italien ausreichend Innovation gibt?

Es gibt systemische Probleme in Italien. Es ist zum Beispiel nicht leicht, in Italien zu investieren. Oft denkt man in Italien an die mittleren bis kleinen Unternehmen. Heute erfolgen aber Investments auf globalem oder jedenfalls europäischem Niveau. Nicht selten herrscht diese etwas pessimistische Mentalität vor, die sich im Satz zusammenfassen lässt: „Das können wir bei uns nicht machen.“ Man muss natürlich auch berücksichtigen, dass Italien in den Jahren des Wirtschaftswunders mit einem Modell großen Erfolg hatte, das sich heute nicht mehr reproduzieren lässt. In diesem Modell war es wichtig, den Erfolg durch Innovation in der italienischen Hemisphäre zu sichern, erst dann dachte man an den Export. Heute funktioniert das nicht mehr, denn man muss von Anfang an eine globale Mentalität haben. Ich will damit sagen, dass die frühere große Stärke Italiens, die des aufgeklärten Unternehmers und des großes Kreativgeistes, die mit einem Stück Papier vor einem guten Essen und einem Glas Wein alles auf persönlicher Ebene regelten, nicht mehr funktioniert. Ideal ist heute das angelsächsische Modell, das auf festgeregelten Prozessen und Strategien basiert. Das Problem des angelsächsischen Modells ist jedoch, dass es dem ermangelt, was Italiener als „l‘arte di arrangiarsi“ bezeichnen, also die Kunst der Improvisation, das die Amerikaner „problem solving“ nennen, die Fähigkeit, sich sicher in Grauzonen zu bewegen. Im angelsächsischen Modell ist jeder Person eine Rolle zugewiesen. Die Menschen sind hier wie Zahnradgetriebe in einem riesenhaften Uhrwerk, das jahrelang sehr gut funktioniert hat. Aber heute muss sich dieses Räderwerk in Lichtgeschwindigkeit bewegen. Früher war das nicht notwendig. Heute muss man dagegen in der Lage sein, flexibel zu sein und ständig seine Strategie anzupassen. Ich denke, dass das italienische und angelsächsische Modell zusammen einen Unterschied machen können. Ich habe in den letzten Jahren versucht, die italienische Kreativität und die Stärke bei der Improvisation mit der Fähigkeit zu kombinieren, voraus zu planen und eine Strategie auf den Weg zu bringen, im großen Maßstab zu denken, zu delegieren, einen breiten Denkansatz zu Visionen zu verfolgen.

Können Sie uns verraten, was Sie angesichts einer so komplexen Welt optimistisch in die Zukunft schauen lässt?

Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Bis vor wenigen Jahren war es nicht vorhanden. Eine sehr gelungene Ausstellung des großen Designers Stefan Sagmeister, Beautiful numbers will zeigen, dass sich die Welt im Grunde immerzu verbessert hat. Der Auslöser zur Ausstellung hat sich aus einem Gespräch ergeben, das Sagmeister mit einem Anwalt führte, der sagte: „Diese Welt ist eine Katastrophe, früher war alles besser.“ Stefan dachte: „Machen wir mal den Datencheck.“ Seine Installationen vergleichen den Zustand der Welt vor hundert oder zweihundert Jahren mit der heutigen und stellen Fragen: Wie viele Frauen sind heute im Parlament im Vergleich zu früher? Wie viele Kinder sterben heute im ersten Lebensjahr im Vergleich zu früher usw. Wenn man dies alles in die richtige Perspektive bringt, wird man sich bewusst, dass die Welt besser wird. Mein Optimismus speist sich aus Zahlen. Den neuen Fokus auf Nachhaltigkeit zu sehen, wie wir es bei PepsiCo tun, lässt mich hoffen, dass es sich um eine beschleunigte Verbesserung handelt.