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Es gibt kein Leben ohne Licht

Interview mit Emanuele Coccia über Licht und Wohnen

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Published: 14 Jun 2022
Emanuele Coccia, geboren 1976, ist Philosoph und Professor an der École des Hautes Études en Sciences Sociales von Paris und dank seiner populärwissenschaftlichen Publikationen seit einigen Jahren auch über die akademischen Grenzen hinaus bekannt geworden. Seine Bücher werden geschätzt, weil sie tiefgehend und gleichzeitig zugänglich sind und uns die Wirklichkeit und das Universum um uns herum erklären helfen. So ergründen seine Bücher etwa unsere Beziehung zur Natur (Die Wurzeln der Welt (dtv)) oder auch das Leben in seiner Ganzheit, in seinem neuesten Werk Metamorphosen. Das Leben hat viele Formen. Eine Philosophie der Verwandlung (erscheint im Hanser Verlag). Coccia gelingt es dabei oft, Themen vorwegzunehmen, mit denen der Mensch sich angesichts der sich verändernden Gesellschaft und des sich wandelnden Planeten früher oder später auseinandersetzen muss. Als die Menschheit beispielsweise gerade dabei war, in der Covid-19-Pandemie zu einer neuen häuslichen Dimension zu finden, schrieb Coccia an Das Zuhause. Philosophie eines scheinbar vertrauten Ortes, das 2022 auf Deutsch im Carl Hanser Verlag erscheinen wird. Mit autobiographischen Einlassungen macht uns der Autor mit einer neuen Art und Weise vertraut, den Raum zu lesen und das Wohnen zuhause und in der Stadt zu begreifen. „Wohnen bedeutet nicht, von etwas umgeben zu sein oder einen bestimmten Teil der Erdfläche zu besetzen. Es bedeutet, ein so intensives Verhältnis zu bestimmten Dingen und Personen herzustellen, dass Glück und Ruhe eins werden“, schreibt er in der Einleitung.


Sie schreiben in Ihrem Buch Das Zuhause, dass das Heim ein „moralisches Ereignis” sei. Inwiefern?

Denken Sie nur an einen Umzug: Wir ziehen um, um „besser“ zu leben. In diesem Adverb steckt schon die ganze Natur des Zuhauses: Eine Wohnung ist eine Maschine, um unserem Leben mehr Gutes einzuflößen. Die Aufgabe des Zuhauses ist moralischer, nicht räumlicher Natur.

Sie sprechen oft das Licht an, als wäre es eine Grundvoraussetzung für das Wohnen. Ist das so?

Es gibt kein Leben ohne Licht. In Wirklichkeit sind auch wir selbst vom Licht beseelt: Die Energie, die wir jeden Tag zu uns nehmen, ist nichts anderes als die Umwandlung der Sonnenenergie, die die Pflanzen in das mineralische Fleisch des Planeten einspeisen. Es ist also „außerirdische“ Energie, was uns zu halben Aliens macht. Wir werden von einer Kraft angetrieben, die nicht von diesem Planeten stammt. Die Ernährung ist ein merkwürdiger Handel mit Licht, das niemals aufhört, von Körper zu Körper, Reich zu Reich zu zirkulieren.

Ein weiteres Ihrer Lieblingsthemen ist Bewegung. An einer Stelle heißt es: „Wenn wir eine Wohnung betreten, treten wir auch immer eine Reise in Zeit und Raum an. Eine intergalaktische Kreuzfahrt, die uns in eine andere Atmosphäre, ein anderes Ökosystem befördert.“ An einer anderen Stelle sagen Sie: „Wir werden zu planetarischen Migranten, Touristen der Psychedelia anderer.“ Ist das eigene Heim wirklich so wirkmächtig?

Alle neuen Plattformen und Socials sind virtuelle Räume, die am Modell der heimischen Gefilde geformt wurden: Ob virtuelle Wohnzimmer oder Flure – sie verbinden Wohnungen untereinander und umgehen den städtischen Raum. In dieser Hinsicht bieten die eigenen vier Wände das neue Modell, um die Gemeinschaft und den Planeten zu denken. Und aus der Veränderung der häuslichen Sphäre entsteht das Politische: Airbnb zeigt das ganz klar. Das Zuhause wird nicht mehr als Gegenstück zum Allgemeinen aufgefasst, sondern das Allgemeine, das Politische muss über das Zuhause gedacht und strukturiert werden.
Filosofia della casa
Mit Blick auf die Zukunft schreiben Sie dagegen, dass die Konstruktion des Individuums auf zwei Angelpunkten, Arbeit und Liebe, gründet: Erstere ist der Stadt vorbehalten, die zweite den häuslichen Gefilden. Gilt das für uns alle?

Das ist eine Vorstellung des kanadischen Philosophen Charles Taylor: Die Modernität ist für ihn nicht Frucht wissenschaftlicher Entdeckungen oder technischer Neuerungen oder geopolitischer Eroberungen, sondern das Ergebnis einer moralischen Revolution, durch die wir das, was wir tun und lieben als das Wichtigste in unserem Leben ansehen. Auch wenn wir heute einen Menschen kennenlernen, wollen wir zuerst wissen, was er macht und mit wem er lebt. Was sich geändert hat, ist die Aufgabenteilung zwischen Stadt und Zuhause. Das Zuhause hat die Arbeit, also die Produktion des Wohlstands, wieder in seine Sphäre geholt, und dies wird die Gleichgewichte radikal durcheinanderbringen. Und auch die Parameter der häuslichen Liebe ändern sich gerade tiefgreifend...

Welche der physischen Objekte, die das Zuhause wohnlich machen und Frucht des menschlichen Designs sind, halten Sie für am universellsten? Und welche Gegenstände zählen Ihrer Ansicht nach zu den kuriosesten, komplexesten, geheimnisvollsten?

Kleidung. Kleider sind die universellsten Artefakte: Alle Menschen unabhängig von Alter, Klasse, Geschlecht, Religion, Ethnie nutzen sie jeden Tag. Den ganzen Tag über. Deshalb ist die Mode so mächtig: Sie ist die Kunst, die die universellsten Objekte unseres Lebens gestaltet. Gleichzeitig ist Kleidung auch am schwierigsten zu entschlüsseln und am geheimnisvollsten, denn in jedem Kleidungsstück schwingt die Neudefinition seines Trägers mit.

In einem Ihrer Bücher, Das Gute in den Dingen, zitieren Sie Locke, der sagte, dass die Dinge „ihren Wert durch den Fleiß der Menschen“ erhalten. Meinen Sie damit das Design?

Alles ist in Wirklichkeit Design. Alles, was uns umgibt, wurde von jemandem gestaltet.

Apropos Design: Sie haben einen Teil Ihrer akademischen Laufbahn in Deutschland absolviert, an Universitäten der halben Welt gelehrt, leben jetzt in Paris, haben einen guten Draht nach Mailand, wo Sie mit Stefano Boeri, der Triennale usw. zusammengearbeitet haben.

Ich arbeite oft mit Stefano Boeri zusammen. Für die 23. Triennale habe ich den Katalog herausgegeben und ein Video gemacht. Aber in Mailand unterhalte ich auch Beziehungen zu anderen zentralen Figuren des Designs, wie Carla Sozzani und 10 Corso Como oder Patricia Urquiola, mit denen ich schon Projekte realisiert habe.