Goethe wird vor allem für seine literarischen Meisterwerke und seine grundlegende Rolle in der deutschen und europäischen Romantik gefeiert. Aber als moderner Renaissance-Mensch interessierte sich der Autor des Faust und der Leiden des jungen Werther auch für die Art und Weise, wie das Licht, Farbe erzeugt, wovon sein Werk Zur Farbenlehre von 1810 Zeugnis ablegt. Dabei ging Goethe davon aus, dass Farben aus der Verdunkelung des Lichts und seiner Wechselwirkung mit der Dunkelheit hervorgehen. Es sind also nicht die Farben, die in ihrer Vermischung das weiße Licht erzeugen, wie einige Zeitgenossen dachten, sondern dieses Spiel aus Dunkel und Hell, in dessen Zu- und Abnahme wir Farbe wahrnehmen.
Es wäre interessant zu erfahren, was der deutsche Dichterfürst zum Trend zunehmender Düsterkeit in TV-Serien und Kinofilmen sagen würde, in denen Farben immer weniger zum Tragen kommen, weil die Dunkelheit getreu Goethes Farbenlehre zur Gleichförmigkeit des Farbspektrums neigt. Sepia-Töne, ein gedämpftes Farbspektrum und das Fehlen üppiger Farben scheinen sich weltweit im Kinofilm der letzten zwanzig Jahren durchgesetzt zu haben. Über ganzen Filmen scheint oftmals ein matter Schleier zu liegen, der zu gleichförmigen Farben neigt und unwirkliche Umgebungen, surreale Szenen, künstlich wirkenden Teint erzeugt. Ein Phänomen, das in Filmen und Serien, in denen die Atmosphäre das Genre widerspiegelt, wie bei Thrillern, Krimis, Kriegsfilmen, postapokalyptischen Geschichten oder auch in neuen Filmen wie The Batman mit Robert Pattinson und Zöe Kravitz weniger augenfällig ist, schließlich lautet einer der Nicknames von Batman treffenderweise „Der dunkle Ritter“, und auch in den Filmen Tim Burtons aus den 90er Jahren schien Gotham City ein sonnenloser Ort zu sein. Aber weshalb diese Düsternis auch in heitereren Gattungen wie Komödien? Hier scheint der jüngste ästhetische Trend weniger am Platz zu sein. Weshalb wird das Licht so knapp dosiert? Warum ist alles so düster?
An einer Erklärung für diesen Dark-Trend hat sich Emily VanDerWerff versucht, eine Journalistin von Vox, die uns dazu einige Thesen präsentiert. Ein erster Erklärungsversuch betrifft die Technik: Musste man noch vor einigen Jahrzehnten analoge Filter und Linsen zum Farbwechsel einsetzen, kann man dies nun in der Digitalisierung nach Lust und Laune tun. Viele Regisseure haben damit begonnen, mit Tönen und Farben auch in der Post-Produktion zu experimentieren und mit Stimmungen zu spielen.
Die zweite These der Journalistin für die Erklärung dieses Dunkeltrends hat ebenfalls mit dem technologischen Fortschritt zu tun: Der Einsatz heller und strahlender Farbtöne ist sehr einfach geworden, was das kommerzielle Fernsehen und die Werbeindustrie weidlich ausgenutzt und die Regisseure so dazu „gezwungen“ haben, bei ihren Kunst- und Unterhaltungswerken auf diese knalligen Töne zu verzichten, um sich nicht mit ihnen gemein zu machen.
Eine andere Begründung könnte die Postproduktion selbst betreffen. Dahinter steht das Kalkül, dass ZuschauerInnen die artifizielle Natur von Szenen, die mit Spezialeffekten gedreht wurden oder bei denen Elemente digital hineingeschnitten wurden, bei zunehmender Düsternis weniger bemerken. Dunkelheit könnte also diese Schwachstellen im Film kaschieren.
Die sicherlich faszinierendste These von VanDerWerff zielt auf den Kultfilm der Jahrtausendwende ab: Matrix. Dieser im Jahr 1999 erschienene Film hat zweifelsohne Pionierarbeit für die heutigen Dark-Ästhetik auf der Leinwand geleistet, denkt man die Szenen mit Dauerregen und die Gesichter der Protagonisten, die ständig von einer düsteren Patina umwölkt erscheinen. Für dieses cineastische Paradigma, in dem die Dunkelheit sowohl auf ästhetische wie existenzielle Weise über das Licht triumphiert, könnte Matrix den Ausgangspunkt bilden.
Möglicherweise haben auch einige für das letzte Jahrzehnt typische ästhetische Vorlieben zu diesem Phänomen beigetragen, etwa das Wiederaufleben des 70er-Stils im neuen Film von Paul Thomas Anderson, Licorice Pizza, oder ganz allgemein der Rückgriff auf ein bestimmtes Vintage-Flair. Dieser nostalgische Kunstgriff könnte zusammen mit der Wirkungskraft des Kinos à la Matrix die Entwicklung dieses Trends erklären. Daneben müssen wir uns natürlich auch fragen: Sind wir sicher, dass wir auf einem 13“-Bildschirm wirklich alle Facetten des Lichts würdigen können, wie wir es aus dem Kinosaal gewohnt sind?