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Können wir ohne Internet leben?

Interview mit Esther Paniagua

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Published: 30 Nov 2023
Error 404 ist der Alptraum jedes Internetreisenden: Die Fehlermeldung zeigt an, dass ein Inhalt nicht mehr verfügbar ist. Error 404 ist auch der Titel des von Esther Paniagua geschriebenen Buches (in Deutschland von Hoffmann und Campe verlegt). Sein Untertitel macht aber klar, dass die Autorin das Problem in die Metaebene hebt: Der Ausfall des Internets und seine Folgen für die Welt. Sind wir auf diesen Ausfall vorbereitet? Das haben wir die Autorin Esther Paniagua selbst gefragt. Die ehemalige Chefredakteurin von „MIT Technology Review“ arbeitet als freie Journalistin für „El País“, „El Español“ und „National Geographic“ und setzt sich seit jeher mit dem Thema des technologischen Fortschritts und seiner Folgen für unser Leben auseinander. Mit Paniagua haben wir über ein Internet gesprochen, das Traum und Alptraum zugleich ist, über die Zukunft der Information, der Kreativität und der Künstlichen Intelligenz.

In Ihrem Buch Error 404 schreiben, dass die Ursünde des Internets gewesen sei, als World Wide Web kostenfrei und als demokratischer und offener Raum wahrgenommen worden zu sein. Glauben Sie, dass wir zum Geist dieses nicht-gewinnorientierten Internets zurückkehren können?

Ich glaube nicht, dass dieser Geist je zum Erliegen gekommen ist, in letzter Zeit gab es einige Versuche, ihn wiederzubeleben, etwa vor fünf Jahren mit der Begeisterung für die Blockchain-Technologie und kürzlich mit dem Web3-Konzept. Ich denke aber auch nicht, dass eine kommerzielle Nutzung des Internets an und für sich schlecht ist. Es geht eher darum, dass eine solche Nutzung der Grundidee des Internets nicht in die Wiege gelegt ist, dass keine Regeln und Ressourcen bereitgestellt worden waren, um es zu reglementieren, als klar war, dass diese Fragen aufkommen würden. Wir leben nun einmal in einer kapitalistischen Welt, ob es uns gefällt oder nicht, und das Kapital findet in jedem unerforschten und noch nicht ausgebeuteten Winkel immer neue Gelegenheiten und Nischen. Das Problem ist, dass das Internet ohne diese Regeln von einigen wenigen großen Konzernen kommerzialisiert und parasitiert wird. Es ist unsere Pflicht, das Internet jetzt von den Parasiten zu befreien, die Macht der Monopole und der digitalen Totalismen zu beschränken, Anreize für Räume schaffen, die Freundlichkeit, Solidarität, Teilhabe, Information und Wissensaustausch begünstigen und das Ziel verfolgen, ein friedliches Online-Zusammenleben zu erreichen, in der sich Geschäfte machen lassen, aber in dem eben nicht alles Geschäft ist, Bürger nicht als Produkte angesehen werden.

Glauben Sie, dass Zeitschriften und Zeitungen noch ein Leben außerhalb des Internets haben oder dem Internet langfristig zum Opfer fallen?

Ich denke, dass der Printsektor sicher nicht todgeweiht ist. Auch heute noch erscheinen neue Print-Zeitschriften, sogar ohne Digitalversion! Das ist Absicht und auch eine Möglichkeit, sich einen eigenen Raum zu erobern. Vor einigen Jahren war Print die Norm und das Digitale die Neuheit. Es war nicht leicht, sich an das Gegenteil zu gewöhnen. Heute ist das Digitale Mainstream und die Bedeutung der Druckerzeugnisse hat sich sicher gewandelt. Aber ihre Faszinationskraft, jetzt wo sie nicht mehr das Leitmedium sind, ist gewachsen. Ich denke nicht, dass wir die Auflagen und Verkaufsvolumen von Zeitschriften und Zeitungen der Vor-Internet-Ära wieder erreichen, aber das ist auch gar nicht nötig. Es ist wichtig, dass beide Optionen koexistieren können. Problematisch ist dabei, dass die Medien online ihr Geschäftsmodell nicht finden können. Es ist schwer einzusehen, weshalb wir heute für Inhalte bezahlen sollen, die wir jahrelang im Internet wie selbstverständlich kostenlos abgerufen haben. Die Verbreitung von Musik- und Unterhaltungsplattformen im Streaming hat uns das Online-Abo-Modell nähergebracht, aber für Informationserzeugnisse ist das noch nicht so selbstverständlich. Dazu kommt ein noch größeres Problem: Die Tech-Giganten (vor allem Google und die Social Media) vereinigen den Großteil der früher auf das Zeitungswesen entfallenden Werbeeinnahmen auf sich, was sich abträglich auf deren Inhalte auswirkt.

Wir müssen verstehen, dass hinter jedem Kommunikationsmedium Personen stehen, die es entwickeln, planen, programmieren, Fakten checken, Inhalte erstellen, analysieren und interpretieren, berichtigen: Ein breites Sortiment an Fachleuten, die alle für ihre Arbeit korrekt vergütet werden wollen. Dieses Konzept findet auch für alle anderen Services oder Apps Anwendung, die wir jeden Tag nutzen. All diese Personen müssen ein Gehalt beziehen, und wir Bürger und Verbraucher müssen dies akzeptieren und uns daran halten. Wenn alles kostenlos ist, dann werden wir selbst das Produkt. Wenn ein Service zum Dumping-Preis erhältlich sein soll, dann ist auch die Arbeit, die ganze Ökonomie und Gesellschaft im Dumping-Modus.
Können wir ohne Internet leben?
Error 404 in der spanischen, deutschen und italienischen Ausgabe
Welche Wirkung hat die Technologie auf unser Leben gehabt und hat sie noch? Und auf unsere Kreativität?

Zu dieser Frage müsste man ein eigenes Buch wie Error 404 schreiben! Ich versuche, sie so knapp wie möglich zu beantworten. Ich beziehe mich auf die digitalen Technologien, die wir als Teil unseres Alltags von morgens bis abends selbstverständlich nutzen. Die meisten Dienste, Endgeräte und Vorrichtungen genau wie die Vorgänge, die wir durchführen, unsere Kommunikationen, unsere Freizeit, Beziehungen, unser Beruf, die Lieferdienste sind vom Internet abhängig.

Auf der anderen Seite unterliegen die digitalen Dienste Algorithmen (also mathematischen Formeln), die entscheiden, was wir lesen, welche Musik wir hören, welche Resultate wir für unsere Suchen gezeigt bekommen, welche Anzeigen wir sehen, was uns verborgen bleibt, welche Preise Flug- und Zugtickets haben. Diese Algorithmen beeinflussen auch andere Aspekte, etwa wer für bestimmte Stellen berücksichtigt wird, wer Wirtschaftshilfen erfährt oder die Bedingungen für einen Kredit erfüllt. So lief es bisher viele Jahre lang. Mit dem Aufkommen von neuen Algorithmen der künstlichen Intelligenz durchdringen und umgeben uns diese Vermittlertechnologien wie ein ständig wachsendes Spinnennetz. Die IA-Konzerne wollen, dass diese Technologie zum Grundstock unserer Online-Existenzen werden soll.

Im Bereich der menschlichen Kreativität kann sich die Künstliche Intelligenz als Inspirationsquelle, aber auch als Beschränkung erweisen. Sie kann uns Denkanstöße liefern, aber auch begrenzen, denn jedwede Antwort dieser Systeme basiert auf dem, was bereits geschaffen wurde. So kann sie zum Beispiel keinen Song in einem Musikstil komponieren, der nicht existiert und zu dem keine Daten existieren. Die IA zeugt nichts Neues. Sie reagiert bloß auf menschliche Anweisungen, und ihre Antworten sind auf den Inhalt ihrer Datenbanken beschränkt, verleihen ihr also einen begrenzten Horizont an Möglichkeiten. Aber um wirklich kreativ zu sein, muss man diesen Rahmen, diese Grenzen überwinden. Die Zeit, die wir für AI nutzen, verlieren wir für Aktivitäten wie Austausch und Diskussionen von Ideen mit anderen Menschen oder für kontemplative Tätigkeiten, die kreativen Prozessen eigen sind.

IA kann keine eigenen Gedanken, Ideen schöpfen, ihr kommt nicht plötzlich in den Sinn: „Oh, ich werde ein Gedicht schreiben oder ein surrealistisches Bild malen.“ Sie ist nicht dazu da, die Welt zu erleben und zu erproben, sie hat kein Bewusstsein, keinen Willen oder eine eigene Urteilskraft; alles Eigenschaften, die neben vielen anderen, biologische Lebewesen auszeichnen. Sie reflektiert nicht, hat keine Tagträume.

In Ihrem Buch sprechen Sie von einem wachsenden Techlash: Versuchen die Tech-Konzerne, diesen zu stoppen?

In einem kapitalistischen System wird jeder Trend daraufhin untersucht, ob er ökonomisch gewinnbringend ist. Auch der Techclash ist da keine Ausnahme. Die großen Tech-Konzerne sind sich dieser Abwehrhaltung gegenüber ihrer monopolistischen Machtkonzentration und deren Auswirkungen durchaus bewusst, ob es um Internet-Abhängigkeit, Verstoß gegen Datenschutz, Desinformation und Politisierung, algorithmische Diskriminierung usw. geht. Aus diesem Grund versuchen sie sich als diejenigen darzustellen, die in der Lage sind, das Problem zu lösen. Ein perfekter Kreisschluss: Sie erzeugen das Problem und machen damit Profit; sie stellen die Lösung bereit und fahren durch ihren Einsatz wieder Gewinne ein, etwa durch die Instrumente zur Bekämpfung der Desinformation, der systematischen Datenschutzverstöße, der sogenannten Bias der IA oder den Umweltauswirkungen ihrer Tätigkeiten. Gleichzeitig versuchen sie, anprangernde Stimmen innerhalb und außerhalb der Konzerne lächerlich und mundtot zu machen, wenn diese Stimmen die Möglichkeit bergen, zu konkreten Hindernissen auf ihrem Weg zu werden.
Können wir ohne Internet leben?
Meinen Sie, wir müssen den großflächigen Einsatz der Künstlichen Intelligenz, insbesondere im Journalismus, fürchten? Oder ist sie nicht vielmehr ein Instrument, das wir bis zu einem gewissen Grad zu unserem Vorteil nutzen können?

Ich glaube, dass wir IA mit Vorsicht begegnen sollten, denn sie ist ein zweischneidiges Schwert. Im Journalismus kann künstliche Intelligenz sehr nützlich sein, um repetitive Tätigkeiten wie Niederschriften und Übersetzungen anzufertigen, Fakten zu checken oder sogar investigativen Journalismus zu betreiben. Auch für eine Reihe von Aufgaben, die mehr zum Mediengeschäft als zu echter journalistischer Arbeit zählen, kann sie nützlich sein (Erstellung von faktenbasierten Inhalten wie Sportresultate, Börsenkurse, Lieferung von Nachrichten usw.). Aber man sollte genau wissen, wo die rote Linie verläuft, etwa indem man die Leser darüber aufklärt, wenn Inhalte mit KI erstellt wurden oder dass man genau darauf achtet, welchen Zwecken bestimmte Anwendungen dieser Technologie dienen sollen. Es gibt viele Beispiele in der Medienlandschaft, in denen generative KI für die Erstellung von Nachrichten eingesetzt wird, mit katastrophalen Resultaten, Fehlern, Ungenauigkeiten und anderen, noch ernsteren Problemen. Wir dürfen nicht vergessen, dass generative KI eine Desinformationsmaschine für den Massengebrauch ist.

Meinen Sie, dass Desinformation und virale Falschmeldungen ohne Internet weniger zugkräftig wären? Und haben Social Media wirksame Instrumente entwickelt, um sieeinzudämmen?

Natürlich gäbe es Desinformation auch ohne Internet. Sie ist so alt wie die Menschheit selbst, hatte aber bisher nicht die Instrumente, um sich auf so effiziente und breitenwirksame Weise wie heute zu verbreiten. Ohne Internet wäre ihre Reichweite und Effizienz erheblich eingeschränkt. Dennoch müssen wir realistisch sein. Auch wenn das Internet ausfällt, wäre dies nur vorübergehend, an seinem Weiterbestehen kann kein Zweifel herrschen. Wir müssen daher nach anderen Lösungen Ausschau halten, die keine Zerstörung des Internets oder eine Rückkehr in die Steinzeit bewirken. Die digitalen Plattformen verfügen bereits über Filter, damit die eindeutigsten Formen von Desinformation oder Spam nicht zu den Nutzern gelangen, aber diese Filter sind nicht genau genug, die glaubwürdigsten und gefährlichsten Falschmeldungen und Betrugsmanöver zu erkennen. Das beste Mittel gegen diese Gefahr ist das kritische Denken, der Rückgriff auf zuverlässige Quellen bei der Informationssuche. Bei Zweifeln gibt es Fact-Checking-Organisationen, die über Suchmaschinen und Instant Messenger-Dienste verfügen, um zu prüfen, ob Desinformation vorliegt oder nicht.

Können Sie uns verraten, was Sie angesichts einer so komplexen Welt optimistisch in die Zukunft schauen lässt?

Ich bin Optimistin allen Widrigkeiten zum Trotz, wie ein guter Freund sagen würde. Es gibt viele Gründe, die Hoffnung machen. Internet ist ein mächtiges Instrument, um Gutes wie Schlechtes zu tun. Es ist ein Ort der Zusammenarbeit, der gegenseitigen Unterstützung, Mobilisierung, Teilhabe, des freien Zugangs zu und Teilens von Informationen und Wissen, der Schöpfung. Es gibt viele Gruppen, die daran arbeiten, das Internet als nachhaltiges Netzwerk von Wissen, Solidarität und Menschlichkeit neu zu erfinden. Dafür müssen sich die ökonomischen Ziele und die Anreize ändern. Wenn dies geschieht, werden es auch die Technologien tun. Wir müssen unsere Vorstellungskraft nutzen und Utopien pflegen, die uns weiterdenken lassen, wie fern sie uns auch scheinen; sie am Horizont zu wissen, ist unsere einzige Möglichkeit, ihnen näher zu kommen.