„Ich vertrete Südafrika auf der diesjährigen Biennale von Venedig mit einem Projekt mit der Bezeichnung
Das Theater der Erscheinungen“, so Roger Ballen. „Für die Ausleuchtung der Fotos habe ich Lightboxen benutzt, und so entsteht der Eindruck der Dokumentation einer Geisterwelt.“
Despondent, 2020. Alle Fotos wurden mit der Genehmigung von Roger Ballen abgebildet, sofern nicht anders angegeben
Verweise auf das Theater und geisterhafte Erscheinungen ziehen sich wie ein roter Faden durch Ballens langes Schaffen und sind ein Element des “
ballenesken“ Imaginären, wie der Historiker und postkoloniale Kulturkritiker Robert J.C. Young sagte. Fensterlose Wände, maskierte menschliche Figuren, Tiere, scheinbar unvereinbar nebeneinander stehende Objekte: Diese Elemente tragen zur Wiedererkennbarkeit eines Werks bei, das seinerseits andere Künstler beeinflusst und inspiriert hat.
Im Interview baten wir Roger Ballen zunächst, seinen Weg im Hinblick des Einsatzes von Licht und Farbe in drei Etappen zu schildern. Dann wollten wir noch einiges zum Inside Out Centre for the Arts wissen, einer von Ballen initiierten Einrichtung zur Förderung der südafrikanischen Kunst, die im Herbst 2022 unter seiner Leitung in Johannesburg eröffnet wird.
Five hands, 2006
STREET-FOTOGRAFIE
„Die erste Etappe meiner Entwicklung“, so Ballen, „reicht von 1967 bis etwa 1982. In dieser Zeit bezeichnete ich mich als Street-Fotograf: Zwischen 1973 und 1978 trampte ich von Kairo nach Kapstadt und von Istanbul nach Neuguinea. Ich war viel unterwegs und auf der Suche nach Motiven am frühen Morgen oder am späten Nachmittag, dann, wenn das Licht weicher ist. Damals arbeitete ich in Schwarz-Weiß, und bei zu hellem Licht ist es dann schwierig, Bilder zu machen. Darüber hinaus war die Arbeit bei stark bewölktem Himmel einfacher. Ich habe immer gesagt, in England, Irland oder den Niederlanden wäre meine Arbeit weitaus einfacher gewesen. In diesem Zeitraum habe ich mein erstes Buch,
Boyhood, veröffentlicht, das der Verlag Damiani in Bologna im Herbst neu auflegen wird.“
Froggy Boy, USA 1977
DER UMZUG NACH SÜDAFRIKA
„Ich verwendete weiterhin natürliches Licht, bis ich im Jahre 1982 endgültig nach Südafrika, Johannesburg, zog. Das Licht hier ist die meiste Zeit des Jahres extrem hell. Es ist selten bewölkt, und von April bis Oktober regnet es nicht. Das macht die Street-Fotografie in Schwarz-Weiß recht schwierig. Man ist früh am Morgen unterwegs, trifft aber häufig keine Menschen, und das wurde mit der Zeit etwas frustrierend. Ich lernte dann jedoch Menschen kennen, die mich in ihre Wohnungen einluden. Die Beleuchtung war dort schlecht, einige hatten nicht einmal Strom. Dort begann ich mit einem kleinen Blitz zu fotografieren. Ich hatte nie zuvor Fotos in Innenräumen gemacht.“
Bedroom of railway worker, De Aar 1984
LICHT, TECHNOLOGIEN, FARBE
„Bis 2016 habe ich alle meine Bilder mit Blitz fotografiert. Anfangs befand sich der der Blitz noch auf der Kamera. Ab ca. 2008-2009 arbeitete ich mit einem externen Blitzgerät und zwei seitlichen Stroboskopen in einem 45°-Winkel. Seit 2016 setze ich LED ein. Das wurde möglich, da ich, und das ist ein sehr wichtiger Punkt, vom analogen Film auf die Digitaltechnik umgestiegen bin. Früher benutzte ich einen Film Kodak T-Max 400, d.h. ich musste die ISO auf 400 einstellen, und hatte daher eine sehr lange Belichtungszeit. Auf meinen Fotos sind aber häufig Tiere zu sehen: Vögel, Ratten, Hunde, Katzen, und wenn sie sich bewegten, waren sie unscharf. Für die Arbeiten am Video zu meinem Buch
Ballenesque, Roger Ballen: A Retrospective im Jahr 2016 bekam ich von Leica eine Kamera. Mit dieser Kamera begann ich dann, auch Farbbilder zu machen, und ich war wirklich erstaunt, wie gut diese waren. Also arbeitete ich in den folgenden Jahren weiterhin mit Farbbildern. Bei dieser Digitalkamera konnte ich die ISO bis auf 1600 oder 3200 einstellen, und auf diese Weise LED-Lichter verwenden. Ich habe schon lange keinen Blitz mehr benutzt.
Puppy between feet, 1999
In der Zeit davor vertrauten Sie der Farbfotografie nicht?
Als ich in den 60-ger Jahren mit dem Fotografieren begann, verwendeten seriöse Fotografen nur Schwarz-weiß-Filme. Dokumentarische Fotografen sahen sich selbst nicht als Künstler. Ich wuchs in einer Kultur auf, in der Schwarz-Weiß die einzige Möglichkeit war, die Welt mit einer Kamera zu dokumentieren. Meine Bilder kamen sehr gut an, deshalb habe ich mich mit Schwarz-Weiß nie unwohl gefühlt. Vielmehr kam mir der Farbfilm plastisch und nicht authentisch vor. Erst mit der Leica im Jahr 2016 wurde mir klar, dass sich meine Ästhetik in Farbe ebenso gut darstellt, wie in Schwarz-Weiß, und dass die Farben nicht auffällig und schrill sein müssen, sondern auch sehr zart sein können. Wer meine Fotos anschaut, weiß sofort, dass sie von mir sind. Meine Ästhetik entwickelt sich in alle möglichen Richtungen weiter. Farbe ist eine interessante Herausforderung, und nach 50 Jahren war das eine große Umstellung.
Leopard Lady, 2019
Sie haben die Aufmerksamkeit häufig eher auf die innere als auf die äußere Welt gerichtet. Bezieht sich der Name des Inside Out Centre for the Arts, das in Johannesburg eröffnet wird, darauf?
Ich habe lange gebraucht, bis ich den richtigen Namen gefunden habe. Anfangs dachte ich an „Roger Ballen Centre for Photography“. Aber ich mache ja mehr als nur Fotografie, und wollte dort nicht nur Fotografie zeigen. Dann hieß es „Roger Ballen Centre for the Arts“. Es gibt aber bereits so viele andere Orte auf der Welt, die so heißen. Das ist nichts besonderes. Und schließlich fiel mir der richtige Name ein: Inside Out. Darum geht es in meiner Arbeit: Es ist eine psychologische Sichtweise. Es geht um etwas, das man im Hinterkopf hat, und darum, dies in einer Fotografie zu zeigen. Ich möchte mit meinen Fotos und dem Zentrum erreichen, dass beim Betrachter oder Besucher eine Verbindung zu seinem Geist entsteht, und sich ihm schließlich etwas offenbart, das sich im Bewusstsein auf die eine oder andere Weise nur schwer erklären lässt. In der nächsten Zukunft werden wir hier Ausstellungen zeigen: die 1. einen psychologischen Hintergrund haben; die 2. etwas mit Afrika zu tun haben; und die 3. drittens einen ballenesken Touch haben; und 4. für die Gesellschaft in Südafrika relevant sind. Die Menschen, die die Ausstellungen besuchen, sollen in der Lage sein, einen Bezug dazu herzustellen. Ich wünsche mir, dass es für sie eine ästhetische und auch eine pädagogische Erfahrung wird. Die erste Ausstellung beschäftigt sich mit der Zerstörung der wilden Fauna während der Kolonialzeit in Afrika zwischen 1860 und 1940 und der ballenesken Interpretation dieses Ereignisses. Dabei handelt es sich um einen eher ästhetischen und psychologischen Ansatz, im Gegensatz zu einem eher dokumentarischen Teil mit Fotografien, Postkarten, Waffen, Relikte von vor über hundert Jahren.
The Inside Out Centre of the Arts (foto: Marguerite Rossouw)
Haben Sie bei den Ausstellungen mit Kuratoren oder Lichtdesignern zusammengearbeitet?
Ich habe im Laufe der Jahre Hunderte von Ausstellungen gemacht und mache eigentlich alles selbst. D. h.habe ich sehr erfahrene Leute, die mir zuarbeiten. Aber ich habe Vertrauen in meine Fähigkeiten, und die derzeitige Beleuchtungsanlage ist optimal. Mit der computergesteuerten Beleuchtung können wir mit der Zeit beispielsweise manche Lichter herunter- und andere hochfahren.
Die Beleuchtung in den beiden Bereichen der Ausstellung ist unterschiedlich: Im dokumentarischen Bereich werden die Objekte auf eine ganz bestimmte, objektive Weise gezeigt. Hier setzen wir auf Interesse bei den Besuchern, die etwas über diese historische Epoche erfahren. Im Untergeschoss, in dem meine Ausstellung stattfindet, versuchen wir, das Licht auf ästhetischere Weise einzusetzen. Damit schaffen wir eine Atmosphäre, die vom Hellen in die Dunkelheit gehen kann, von der starken Fokussierung zum Diffusen. Auf diese Weise entsteht eine variable lichttechnische Gestaltung, die nicht monoton und statisch ist.
Viele Menschen in Südafrika waren wahrscheinlich noch nie in einem Museum oder einer Kunstausstellung, und ich denke, dass sie das Thema unserer kommenden Ausstellungen wirklich schätzen werden. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die noch nie in einem Museum waren, und sie schienen begeistert zu sein. So etwas ist einfach großartig, denn dann hat man die Gewissheit, dass man den Menschen eine ganz neue Erfahrung schenken kann.
The Inside Out Centre of the Arts- indoor (Foto: Marguerite Rossouw)