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Lighthinking

John Keats: Die dunkle Seite des Lichts

200 Jahre nach dem Tod des Dichters begeben wir uns auf eine Reise in seinen dichterischen Kosmos von Shakespeare bis Star Wars

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Published: 23 Feb 2021
Dritter Akt, fünfte Szene: Romeo und Julia blicken vom Balkon in den Garten der Capulet. „Willst du schon gehn? Der Tag ist ja noch fern.“ sagt sie und lauscht dem Klang eines Vogels auf einem nahen Baum: Es ist der Gesang der Nachtigall, dem Vogel der Nacht, der über ihre geheime Liebe wacht. „Die Lerche wars, die Tagverkünderin“, entgegnet Romeo, denn er weiß, dass die Morgendämmerung bald den Garten der Capulet erhellen wird und dass nur wenig Zeit bleibt, vom Balkon zu klettern und zu fliehen, bevor die ersten Sonnenstrahlen seine Anwesenheit verraten.

John Keats hatte sicher diese Szene im Kopf, als er seine Ode an eine Nachtigall (Ode to a Nightingale) komponierte. Aber im Unterschied zu den Versen von William Shakespeare - ein Autor, den Keats nach dem Abbruch des Medizinstudiums und dem Entschluss, sich ganz der Dichtkunst zu widmen, eingehend studierte - gibt es seiner Ode an die Nachtigall keine Spur vom nahenden Tag. Der Dichter zögert im Gegenteil die Dunkelheit hinaus.

„Zart ist die Nacht“, schrieb Blake über jenen Augenblick, in dem die Mondkönigin, umgeben von den Sternen-Feen, auf ihrem Thron Platz nimmt. Und doch gelangt nur eine schwache Ahnung dieses strahlenden Lichts, fast ein Trugbild auf die Erde: Aus dieser Atmosphäre nährt sich das poetische Schaffen.

In einem Artikel in «The Keats Letter Project» setzt sich Professor Chris Washington mit der Vorliebe von Keats für die “dark side” auseinander, der dunklen Seite der Dinge: Es ist Aufgabe des chamäleontischen Dichters, wie sich Keats selbst in einem Brief an Richard Woodhouse definiert, zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen dem Realen und dem Verschwindenden und Eingebildeten zu vermitteln und Brücken zwischen Leben und Tod zu bauen. Der Dichter ist identitätslos und verkörpert von Mal zu Mal die Sonne, den Mond, das Meer, die Männer und Frauen: Dem Dichter obliegt die Aufgabe, der poetischen Möglichkeit Ausdruck zu verleihen. Um dies zu tun, muss er bereit sein, in die dunkle Seite einzutauchen.

In diesem ständigen Wechsel zwischen Licht und Schatten gibt es einen hellen Fixstern in Keats Leben und Schaffen: Seine angebetete Liebe Fanny Brawne, der der Dichter das Sonett Bright Star widmete: Wenn er nur ewig in diesem immerwährenden und unveränderlichen Licht leben könnte, schreibt Keats, wenn er nur so ewig leben könnte. Aber diese Unveränderlichkeit ist für den Dichter unerreichbar, der die Herausforderung seines schillernden und chamäleontischen Wesens annehmen und sich mit der dunklen Seite auseinandersetzen muss, um durch die Dichtung die die Welt bewohnenden Wesen wieder zum Leben zu erwecken.

Bright Star gelesen von Rupert Penry-Jones
 

In der Poetik von Keats existieren die helle und dunkle Seite in einem engen Abhängigkeitsverhältnis: Das Leben würde es ohne den Tod nicht geben, das Licht nicht ohne den Schatten. John Keats verwob diese inneren Spannungen im von den Lebewesen geschaffenen Energiefeld, das sie umgibt und sie durchdringt – das gleiche Energiefeld, dem George Lucas 1977 den Namen Macht gab: Wie die Padawan bei Star Wars bewegt sich der Dichter zwischen Licht und Dunkelheit.

Das Licht des Lebens war für John Keats freilich nur ein flüchtiger Moment: Vor genau zweihundert Jahren, am 23. Februar 1821, starb der Dichter mit nur 25 Jahren in Rom, das er in der Hoffnung aufgesucht hatte, im milden Klima Italiens von seiner Tuberkulose geheilt zu werden.
In der Poetik von Keats existieren die helle und dunkle Seite in einem engen Abhängigkeitsverhältnis.