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Lighthinking

Cesare Pavese: vor und nach Sonnenaufgang

Das Licht des Tages und die Dunkelheit der Nacht in den Romanen des piemontesischen Schriftstellers

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Published: 27 Aug 2020
Cesare Pavese starb in der Nacht vom 26. auf den 27. August 1950 in einem Zimmer des Hotel Roma in Turin.

„Ich verzeihe allen und bitte alle um Verzeihung. Recht so? Macht nicht zu viel Gerede davon“ schrieb er auf einem Stück Papier, bevor er sich mit einer Überdosis Schlafmittel zur ewigen Ruhe legte.

Siebzig Jahre nach dieser Nacht gab und gibt es viel Gerede über seinen Tod und anderes. Man sprach und spricht über Pavese, erforschte und liebte ihn: So wurde er zu einer Legende der italienischen Literatur. Das Jahr 2020 wird trotz aller anderen denkwürdigen Ereignissen ein „Jahr Paveses“ bleiben. Der italienische Verlag Einaudi hat anlässlich des Jubiläums vor kurzem sieben seiner Meisterwerke neu herausgegeben, mit sieben Einleitungen von Autoren und Autorinnen wie Nicola Lagioia, Donatella Di Pietrantonio und Paolo Giordano, die Einbände wurden von Manuele Fior gestaltet.

Wir wollten Paveses Oeuvre mit einem Blick auf das Verhältnis zwischen Licht und Dunkelheit noch einmal neu lesen. Welche mehr oder weniger symbolische Rolle spielt der Gegensatz Tag-Nacht in seinen Werken? Wir haben dafür drei Romane genauer unter die Lupe genommen.
 
Cesare Pavese: vor und nach Sonnenaufgang

Der Mond und die Feuer (La luna e i falò). Zürich 2018

Der Mond und die Feuer

„Drei Nächte lang wurde die ganze Nacht auf der Piazza getanzt, und man hörte die Drehorgeln, die Hörner, das Knallen der Luftgewehre. Die gleichen Geräusche, der gleiche Wein, die gleichen Gesichter wie damals.“

Der im April 1950 veröffentlichte Roman ist der letzte Paveses und vielleicht sein bekanntester und geliebtester. Er erzählt die Geschichte von Anguilla, dem Ich-Erzähler, der kurz nach der Befreiung vom Faschismus nach langen Jahren in Amerika in seine Langhe zurückkehrt und zusammen mit seinem Freund Nuto auf der Suche nach den eigenen Wurzeln die Orte seiner Kindheit aufsucht. In Der Mond und die Feuer reflektiert Pavese über den Faschismus und den Partisanenkrieg, sinniert aber auch über sich selbst und die Suche nach einem Platz in der Welt. Diese Reise durch die Langhe ist eine Reise durch den Raum, vor allem aber eine in die Zeit, die Vergangenheit. Die Nacht hat für Anguilla und seine Altersgenossen, aber auch für die Bewohner der Dörfer sowohl in der Vergangenheit wie in der Gegenwart der Erzählung eine festliche Aura. Der Krieg hat tiefe Wunden in den Menschen und der Erde hinterlassen: Auf den Feldern finden die Bauern noch hin und wieder die Körper der während der Resistenza Gefallenen, bei Dunkelheit aber tanzen und rennen die Jungs und Mädchen ausgelassen durch die Gassen und Felder.

Und dann gibt es die namensgebende Nacht der Feuer, die Nacht von San Giovanni: Überall auf dem Land werden Feuer entzündet, um sich eine gute Ernte und baldigen Regens gewogen zu machen. Die Nacht in Der Mond und die Feuer ist volkstümlich, bäuerlich: Sie gehört dem Mythos und der Tradition. Es ist eine Nacht, die sich mit Lichtern und Feuern, Hoffnungen und Leben anfüllt. Vor oder nach dem Krieg, wenig hat sich geändert: Der Tag steht für die Arbeit auf den Feldern, für die Mühen des Lebens. Im Licht des Tages vergeht die Zeit der Wirklichkeit; die Dunkelheit der Nacht bringt den volkstümlichen Zauber mit sich. In der Intimität des Dunkels, das nur vom Licht der Feuer durchsetzt wird, flüstert man Gebete für ein besseres Leben.
Die Nacht in Der Mond und die Feuer ist volkstümlich, bäuerlich: Sie gehört dem Mythos und der Tradition. Es ist eine Nacht, die sich mit Lichtern und Feuern, Hoffnungen und Leben anfüllt. Vor oder nach dem Krieg, wenig hat sich geändert: Der Tag steht für die Arbeit auf den Feldern, für die Mühen des Lebens.
Cesare Pavese: vor und nach Sonnenaufgang

Die einsamen Frauen (Tra donne sole). Berlin 2008

Die einsamen Frauen

„Also sagte ich, dass ich in Turin eben dies erlebt hatte und menschenscheu gewesen war. Überall Maler, Möchtegerne, Musiker – jedes Mal ein neuer, nicht mal in Rom feierten die Menschen so ausdauernd. Und Marielle wollte unbedingt im Theater auftreten. Es schien, als hätte es den Krieg nie gegeben...“.

Die einsamen Frauen erschien zusammen mit Der schöne Sommer (La bella estate) und Der Teufel auf den Hügeln (Il diavolo sulle colline) in einer Trilogie, für die Cesare Pavese 1950 wenige Monate vor seinem Tod mit dem Strega-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Nicola Lagioia schreibt in seiner Einführung der Neuausgabe Drei einsame Frauen, hier fielen „Pailletten auf die Tragödie“. Der Roman wird in erster Person von Clelia erzählt, die von Rom nach Turin zurückkehrt (wo sie geboren und aufgewachsen ist), um ein Modeatelier zu eröffnen. Ihre Tage scheinen sich in eine Welt vor und nach Sonnenuntergang zu teilen. Tagsüber beschäftigt sich Clelia mit ihren Projekten für die Zukunft: Sie beaufsichtigt die Arbeiten in ihrem Geschäft, wählt die Einrichtung usw. Bei Dunkelheit kehrt sich die Situation um: Die Turiner Landschaft verändert sich, der Vorhang fällt auf eine im Wiederaufbau begriffene Stadt (die der Tagwelt angehört), und es öffnet sich der Blick auf ihre Ruine: Das Turiner Bürgertum ist ruhelos, gibt unermüdlich Feste und Empfänge, bei denen sich die Teilnehmer langweilen; die Malerfreunde von Clelia hoffen vielleicht, die Avantgarde wiederzuerwecken, aber alles ist dabei, zusammenzustürzen, das Leben scheint stets prekär und vor einer Katastrophe zu stehen. Alle streben nach dem Vergnügen, aber die Verletzungen des Krieges sind noch frisch und nichts wird wie vorher sein. Es ist eine Art Abgesang Paveses an die erste Jahrhunderthälfte, der prophetisch die dunkle Seite des sich ankündigenden Booms vorwegnimmt, dessen Dekadenz und Konsumverhalten die menschliche Existenz bedeutungslos machen. Das Leben von Clelia und ihren Freundinnen – die anderen einsamen Frauen des Romans – ist von einer zynischen Kälte durchzogen, die sich von jeder Illusion fernhält. Vielleicht bleibt ihr nichts anderes übrig, als auf den Morgen zu warten, das durch die Schaufenster einfallende Licht ihres Geschäfts zu betrachten und nach vorne zu schauen...
 
Cesare Pavese: vor und nach Sonnenaufgang

Der Teufel auf den Hügeln (Il diavolo sulle colline), München 1984.


Der Teufel auf den Hügeln

„Wir waren sehr jung. Ich glaube, in diesen Jahren nie geschlafen zu haben.

Der Auftakt von Der Teufel auf den Hügeln ist ein Manifest der Jugendlichkeit.

Der Roman erzählt die Geschichte von drei jungen Studenten und Freunden aus Turin, die von der Stadt aufs Land reisen, wo sie einige Abenteuer erleben.

Der etwas ältere Poli, ein Sprössling der oberen Gesellschaft, führt die drei jungen Männer in die Welt der Laster und der Übertretungen ein. Der Teufel auf den Hügeln ist ein nächtlicher Roman: Alles was bei Dunkelheit geschieht, gehört in den Bereich des Abenteuers und der Entdeckung und ist gewissermaßen die Initiation zu einem erwachsenen, weniger jungenhaften Leben, wo man Verbote verletzt und die Grenzen austestet. Der Erzähler ist hin- und hergerissen zwischen diesem neuen Leben und der Regression zu einer Phase kindlicher Gewissheiten. Wie Paolo Giordano in seiner Einleitung zum Roman anmerkt, wird dieser Aspekt vom Naturelement symbolisiert, wie jener Pfuhl, in den sich die jungen Männer in der nachmittäglichen Hitze legen, um von der Sonne gebacken zu werden: „Du wirst auch in den Pfuhl kommen. Hier wird keine Rücksicht genommen. Vor der Sonne darf man nichts verstecken.“ Auch in diesem Fall besitzen Tag und Nacht zwei entgegengesetzte und symbolische Rollen, die zwei, womöglich schwer zu vereinende Aspekte des Lebens erzählen.

In den drei Romanen, die wir untersucht haben, teilt Pavese Tag und Nacht in zwei klar getrennte Momente ein: Im Licht der Sonne verläuft die Zeit der Wirklichkeit, wo jeder Übergang in den Traum unmöglich erscheint; im Dunkel der Nacht ändert sich das Szenario, und die menschliche Erfahrung wandelt sich zu einem Illusionstheater, einem Raum der Entdeckungen und Experimente, der sich aus einem atavistischen Symbolismus speist.