Kann das Unmögliche realistisch anmuten? Natürlich: Die Gesetze, die uns eine fiktive Welt schenken, können sich von denen der Realität stark unterscheiden, sind sie aber schlüssig, neigen wir dazu, sie zu akzeptieren und uns von der Erzählung mitreißen zu lassen. Die Fotografien von
Erik Johansson, sind nach diesem Prinzip entstanden und sind mitreißend, lassen uns staunen und erzählen eine Geschichte. Dafür zeichnet nicht zuletzt ein minutiöser Umgang mit dem Licht verantwortlich.
1985 geboren und in Schweden gebürtig, lebt und arbeitet Johansson heute in der Tschechischen Republik. Als Fotograf ist er im Auftrag von Kunden wie Volvo, Toyota, Google, Adobe, Microsoft und National Geographic tätig, aber seine Hauptbeschäftigung sind seine persönlichen künstlerischen Projekte. 2016 hat er eine Sammlung derselben in seinem ersten Buch vorgestellt,
IMAGINE.
The Reset (2020), Erik Johansson
„Meine Art, Fotos zu machen“, sagt er, „ist nicht so anders als die Arbeit eines Malers: Der eine trägt Farben auf Leinwand auf, ich ordne Fotos auf meiner Leinwand an.“ Jedes seiner Werke ist eigentlich eine Montage vieler seiner Aufnahmen. Dabei verwendet Johansson nur Fotos, die er selber geschossen hat: Einerseits deshalb, damit er selbst Teil an sämtlichen Produktionsphasen hat, andererseits, weil die Fotos für den großformatigen Druck konzipiert sind, es also daher unmöglich ist, Stock-Bilder in einer ausreichend hohen Auflösung zu finden, die die Gegenstände dazu noch im richtigen Blickwinkel und Licht wiedergeben.
Üblicherweise beginnt der kreative Prozess bei Johansson mit einer Skizzierung der Idee, die ihm vorschwebt; diese zerlegt er dann in die einzelnen Elemente, die er fotografieren muss, um dann die Planung der Sets vorzunehmen. Und dann gibt es natürlich noch die Postproduktion: Alle Teile werden in eine Szene montiert, die den Eindruck vermitteln muss, wirklich fotografiert worden zu sein. Die Entwicklung eines jeden Bildes dokumentiert Johansson in
backstage gedrehten Videos, welche die Komplexität und den überraschend materiellen Aspekt der Arbeit belegen, aus der Bilder hervorgehen, die man sonst als Photoshop-Kreationen abgetan hätte.
Für den Realismus des Endprodukts ist “natürlich die Perspektive wichtig, die aber nicht so schwierig einzuhalten ist”, erklärt Johansson: „Man muss nur den Fotoapparat ungefähr in derselben Position [zum Gegenstand] halten und sich der unterschiedlichen Elemente bewusst sein, die man verknüpfen möchte.“ Bei der Beleuchtung sind dagegen komplexere Aspekte zu berücksichtigen: „Hier zählt nicht nur die Richtung des Lichts, sondern auch seine Farbe, die Qualität und der Typ Lichtquelle. Ich greife oft auf Blitzlicht zurück, bei Freilicht-Aufnahmen auch auf Naturlicht.“
„Jedes neue Projekt lehrt mich etwas Neues. So ist mir in den letzten Jahren immer bewusster geworden, wie wichtig der ausgeklügelte Einsatz von Gelatine ist, um das richtige Licht bereits am Set zu erhalten, anstatt es erst in der Postproduktion anzupassen. Das Ergebnis ist am Ende für gewöhnlich besser und realistischer, weil das Licht bereits von Anfang an natürlich ist. Licht ist ein ungeheuer spannendes Thema in der Fotografie und ich teile meinen Enthusiasmus diesbezüglich gerne mit anderen Fotografen, ermuntere sie zu experimentieren, zu sehen, wie unterschiedliche Blitz-Typen sich auswirken.“
Wird die Beleuchtung von Anfang minutiös durchgeplant, erleichtert das die Phase der Postproduktion erheblich. „Es ist nicht schwierig, die Farbe des Blitzlichts auf einem Gesicht zu ändern, etwas ganz Anderes ist es, das Zusammenwirken von Natur- und Kunstlicht auf Grashalmen und anderen komplexen Strukturen zu arrangieren.“
Above All (2019), Erik Johansson
„Licht ist ein ungeheuer spannendes Thema in der Fotografie und ich teile meinen Enthusiasmus diesbezüglich gerne mit anderen Fotografen, ermuntere sie zu experimentieren, zu sehen, wie unterschiedliche Blitz-Typen sich auswirken. Es ist nicht schwierig, die Farbe des Blitzlichts auf einem Gesicht zu ändern, etwas ganz Anderes ist es, das Zusammenwirken von Natur- und Kunstlicht auf Grashalmen und anderen komplexen Strukturen zu arrangieren.“
So kehren wir wieder zum Problem des Realismus zurück: Nur weil es surrealistische Szenen sind, heißt das nicht, dass jede Beleuchtung gerechtfertigt wäre. „Das Licht muss einen Zweck haben“, sagt Johansson. „Wenn ich eine Person in einem Wald fotografiere, stelle ich da keine Softbox rein, nur um sie ein wenig aufzuhellen. Ich frage mich immer: Woher stammt dieses Licht und weshalb kommt es aus dieser bestimmten Richtung? Ist ein Gegenstand beleuchtet, muss es eine Lichtquelle geben.“
„Die Story spielt eine große Rolle in meinen Arbeiten. Meine Ideen gehen oft aus einer Kombination unterschiedlicher Dinge oder einem nicht deutlich umrissenen Kern hervor, um den ich eine Erzählung spinnen möchte. Dieser Schöpfungsprozess ist sehr zeitintensiv, müssen doch all die kleinen Dinge gefunden werden, mit denen sich die Story entwickeln kann. In gewisser Weise sind alle Bilder wie Fenster auf eine andere Welt, aber von dieser Welt sehen wir nur einen Ausschnitt. Für mich ist es sehr wichtig, den richtigen Ausschnitt zu zeigen.“
Leap of Faith (2018), Erik Johansson
“In meinem Bild Leap of Faith ist beispielsweise ein Mann zu sehen, der Luftballons hoch auf
einem Sprungturm stehend hält. Ich habe mich gefragt, welchen Moment ich einfangen
möchte: Die Unentschlossenheit, den Schritt in den Abgrund zu wagen oder den danach, in
dem wir ihn fliegen oder stürzen sehen. Das spannendste Element der Geschichte war für
mich der Augenblick, an dem er den Schritt wagt: Ob er fällt oder fliegen wird, ist ungewiss,
aber er ist definitiv über den Umkehrpunkt hinausgelangt. Ein gutes Bild muss den
Betrachter meiner Ansicht nach dazu bringen, dass wir uns fragen: Wie ist dieser Mensch an
diesen Punkt gekommen? und Was wird mit ihm geschehen? Jeder hat seine eigenen
Antworten darauf parat.