Ein stockdunkles Zimmer, eine LED-Taschenlampe, eine Komposition aus Speisen und ein Fotoapparat. Die ausgeklügelte Eleganz der Bilder des Fotografen
Renato Marcialis, die an die Barockmalerei erinnern, ist in Wirklichkeit Ergebnis eines „minimalistischen“ Ansatzes, der nach äußerster technischer Vereinfachung strebt. Denn eine teure fotografische Ausrüstung allein macht noch keinen Fotografen; ein bewusster Umgang mit Licht schon eher. Und man könnte sagen, dass
Caravaggio in Cucina, das von Marcialis seit über zehn Jahren allein vorangebrachte Projekt mit seinen mittlerweile über 450 Bildern, tatsächlich eine lange Studie über das Licht im
Stillleben ist.
“Armati… Disarmati”. Der Abdruck aller Bilder erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Renato Marcialis
Auf dem Tisch des Studios bereitet Marcialis die Komposition der Speisen vor, verdunkelt das Zimmer vollständig, öffnet den Verschluss des Fotoapparats und lässt das Licht einer Taschenlampe über den Gegenstand gleiten: Durch die Bewegung erfasst der Sensor des Apparats die beleuchteten Bereiche, so dass die Volumen einheitlich aus dem Dunkel hervortreten. Es ist, als ob Marcialis das Licht auf den Objekten „malen“ würde, um sie erscheinen zu lassen. Dieser Effekt simuliert das Licht, dass durch ein kleines Fenster fällt, wie es häufig in der Stillleben-Malerei verwendet wird. Nicht zufällig beschreibt der Fotograf seine Kunst mit einem Zitat Caravaggios: „....nun ließ ich den Pinsel ruhen und zeichnete mit einem Lichtstrahl Formen und Farben, die sonst in unermesslicher Dunkelheit verborgen lagen.“
Ungeachtet seines Namens war das Projekt ursprünglich nicht an Caravaggios Malerei inspiriert. „Vor zwölf Jahren“, erzählt Marcialis, „habe ich für einen Kastanienerzeuger gearbeitet, der attraktives Bildmaterial benötigte. Wir trafen uns gegen Ende des Sommers in seinen Kastanienhainen in der Umgebung von Viterbo: Ich sammelte dabei auch Zweige mit Blattwerk und begann im Studio an der Komposition zu feilen. Dabei erinnerte mich all diese reglose Natur an ein flämisches Gemälde. So versuchte ich, ihr ein malerisches Licht zu verleihen und ihren Gegenstand gegen einen dunklen Hintergrund zu beleuchten.“
„....nun ließ ich den Pinsel ruhen und zeichnete mit einem Lichtstrahl Formen und Farben, die sonst in unermesslicher Dunkelheit verborgen lagen.“
Der Vorsatz war nicht einfach durchzuhalten: „Dieser Effekt lässt sich nicht mit elektronischem Blitz erzielen“, erläutert Marcialis, „es sei denn, man setzt ein ganzes Brimborium in Gang. Aber das entsprach nicht meiner Idee und Überzeugung der Vereinfachung. Ich griff daher auf ein Zubehörteil zurück, dass ich mir vor vielen Jahren zugelegt hatte, um dunkle Ecken auszuleuchten, in die das Blitzlicht nicht gelangt, und machte einen Versuch.“ Die erste Aufnahme war so überzeugend, dass Marcialis gleich wusste, auf dem richtigen Weg zu sein.
Natürlich haben sich Technik und Stil im Laufe der Zeit entwickelt: „Früher verlieh ich dem Bild mehr Tiefe, ließ das Holz des Tisches hervortreten; seit ein paar Jahren bin ich dazu übergegangen, alles hinter und vor dem Gegenstand zu verdunkeln und nur ihn selbst auszuleuchten.“
“Tanta pazienza e un pizzico di fortuna”
Im Druck erhalten die Bilder ihren letzten Schliff. „Ich habe es mit Papier versucht, aber nichts zu machen. Mit all ihren Vorzügen und Makeln ist die Leinwand doch die beste Lösung. Das liegt auch daran, dass ich das Bild nach dem Druck mit einer durchsichtigen, matten Schutzlackschicht überziehe und die Pinselführung sichtbar belasse. Auch wenn ich zehnmal denselben Gegenstand drucken wollte, hätte ich auf diese Weise nicht zehn Kopien, sondern zehn Originale erzeugt. Wer die Leinwand sieht und meine fotografische Arbeit nicht kennt, der würde sie für Gemälde halten.“
Die „manuelle“ Komponente von Caravaggio in Cucina beschränkt sich aber nicht auf die Handwerklichkeit im Schöpfungsprozess: Früher bezog Marcialis die Früchte der Erde aus seinem eigenen 1000m² großen Garten in den Marken, um sie vor der Kamera posieren zu lassen. Heute erntet er sie in den Gemüsegärten seiner Freunde (natürlich mit deren Erlaubnis).
„Ich betrachte die Tomaten, Wassermelonen, die Kürbisse, drehe sie in meinen Händen, finde ihren „fotogensten“ Teil und fotografiere ihn; ich fühle ihre Präsenz.“ Essen ist eine tief verwurzelte Passion von Renato Marcialis: „Ich probiere gerne, bin neugierig wie ein Äffchen, und neun von zehn Speisen, die ich koste, gefallen mir. Ich esse schnell, denn in meiner Familie waren wir vier Geschwister, und wer schneller aß bekam mehr.“
„Wir Marcialis haben die Küche in unserer DNA: Mein Großvater väterlicherseits war Chef de Cuisine auf Kreuzfahrtschiffen, der Bruder meines Vaters Cordon Bleu de France, mein Vater Barman, dazu habe ich weitere Cousins und Onkel in der Gastronomie. Mein Sohn Riccardo ist ebenfalls ein sehr guter Koch. Die Leidenschaft für die Küche habe ich über die Chromosomen bezogen; wäre mein Opa ein Schneider gewesen, dann wäre ich heute ein Modefotograf.“
„Ich probiere gerne, bin neugierig wie ein Äffchen, und neun von zehn Speisen, die ich koste, gefallen mir. Ich esse schnell, denn in meiner Familie waren wir vier Geschwister, und wer schneller aß bekam mehr.“