Vor einhundert Jahren, am 31. Oktober 1920, kam Helmut Newton zur Welt. Er wollte nie als Künstler, immer nur als Fotograf gesehen werden, aber sein Werk hat ein unverkennbares Markenzeichen in der Geschichte der Modefotografie hinterlassen. Trotz der Schwierigkeiten in diesen Pandemie-Zeiten wurde sein 100jähriges Jubiläum 2020 mit Ausstellungen wie
Works am GAM in Turin und
America 1970s/80s in der Helmut Newton Foundation in Berlin begangen (wir danken beiden Institutionen für die Begleitbilder dieses Artikels). Auch im Kino wurde seiner mit dem Dokumentarfilm
The Bad and the Beautiful von Gero von Boehm gedacht.
Helmut Newton; Rushmore, Italian Vogue 1982, © Helmut Newton Estate
Als Klassizist und Punk zugleich porträtierte Newton statuenhafte, von Spiel aus Licht und
Schatten gemeißelte nackte und bekleidete Körper vor trostlosen Kulissen ebenso wie vor
Hollywood-Villen. Er arbeitete auch mit Farbe, aber seine bekanntesten Bilder sind die in
Schwarzweiß. Eine Konstante in seinen Arbeiten ist das intensive Natur- oder Kunstlicht.
„Ich arbeite oft am Mittag, auch in der Wüste, denn ich liebe das blendende Licht in der
Modefotografie, den Porträts oder den Akten. Beim Akt lässt das starke Licht die Muskeln
hervortreten“, verriet Newton in einem Interview im Buch
Nude: Theory von Jain Kelly.
Helmut Newton; Thierry Mugler (Monaco 1998) © Helmut Newton Estate
Als Klassizist und Punk zugleich porträtierte Newton statuenhafte, von Spiel aus Licht und
Schatten gemeißelte nackte und bekleidete Körper vor trostlosen Kulissen ebenso wie vor
Hollywood-Villen.
„Bei Sonnenschein verwende ich üblicherweise einen orangefarbenen Filter“, erläutert Newton die Herkunft der knalligen Töne seiner Fotos. „Früher setzte ich oft Rotfilter ein. Auf jeden Fall immer ziemlich helle Filter. Den Orange-Filter nehme ich für die Haut: So erscheint sie glatter und kaschiert kleinere Unregelmäßigkeiten. Ich muss nur aufpassen, dass die Lippen nicht zu blass werden. Natürlich kann man dem Problem mit dem Lippenstift beikommen, aber mit einem Rotfilter werden die Lippen weiß.“ Um den Kontrast noch zu erhöhen, ließ er die Negative etwas länger als nötig entwickeln.
Helmut Newton; Stern (Los Angeles 1980) © Helmut Newton Estate
(Erklärtermaßen) starken Einfluss auf das Werk von Newton hatten die Regisseure
Leni Riefenstahl und
Erich von Stroheim, sowie die Fotografen
Brassaï und
Erich Salomon Insbesondere zu Riefenstahl pflegte er eine Liebe-Hass-Beziehung. Als deutscher Jude war Newton 1938 aus dem heimischen Deutschland vor den Nazis nach Übersee geflüchtet und konnte gegenüber einer Frau, die als „Hitlers Regisseurin“ galt, nur Groll empfinden. Aber man muss sich nur einige Szenen von
Olympia, ansehen, Riefenstahls Dokumentarfilm zu den Olympischen Spielen von Berlin 1936, um Parallelen zwischen beiden zu finden: Die gleiche Neigung, Körper von unten zu fotografieren, um sie imposanter erscheinen zu lassen, und der gleiche Kontrast zwischen Licht und Schatten auf der Muskulatur der fotografierten Subjekte.
Helmut Newton; Claudia Schiffer, Vanity Fair (Menton 1992) © Helmut Newton Estate
Die Reihen von Motiven, die in engen und nebligen Gassen aufgenommen wurden, sind dagegen ein Erbe von Brassai. „Seine nächtlichen Fotografien haben mich inspiriert“, erinnert sich Newton. „Ich fand sie ungeheuer schön. So habe ich angefangen, sehr viele Modefotos nachts in Paris zu schießen. Seitdem ich in Monte Carlo lebe [seit 1981, AdR], mache ich sie hier vor Ort. Eine Frau nachts auf der Straße ist ein mysteriöses Wesen. Das gefällt mir sehr.“
Helmut Newton; Elizabeth Taylor (Los Angeles 1985) © Helmut Newton Estate
Newton brauchte keine anziehenden Orte: Er wusste, wie man einen Ort anziehend macht. Dies erläutert der Leiter und Kurator der Helmut Newton Foundation, Matthias Harder, an einem frappierenden Beispiel: „Eines seiner Lieblings-Fotosets war die Garage seiner Apartmentanlage in Monaco, in denen die Models und die geparkten optisch miteinander im Dialog standen. Newton war in der Lage, banale Orte zu theatralischen Bühnen umzuwandeln, deren absolut unkonventionelle Szenen entweder durch starke Kontraste oder durch einen besonderen Minimalismus gekennzeichnet waren. Das exklusive und exzentrische Leben der Welt der Schönen und des Jet-Sets, so voller erotischer und kulinarischer Lasterhaftigkeit, ist ein wiederkehrendes Thema in seiner Fotografie.“